Der magische Turm
hier wache. Doch niemals beging einer den Frevel, hierher vorzudringen.«
»Wie kann ich dir beweisen, dass ich auserwählt bin oder den Helm zu Recht begehre?« fragte Mythor ungeduldig.
»Es war meine Aufgabe, es herauszufinden. Dafür wurde ich geschaffen, als mein Meister in diesem Turm Zuflucht vor der Zeit suchte.«
»Wie stellst du es fest?« drängte Mythor.
»Der Weg zu meinem Meister führt durch mich hindurch. Dabei sind Augen zu passieren, die tief in den Geist blicken. Wenn das, was sie sehen, übereinstimmt mit den Bildern, die mir eingeprägt sind, dann allein ist der Weg frei nach oben.«
»Und wenn sie nicht übereinstimmen?«
»Hört sein frevelnder Geist auf zu sein.«
»Es gibt keinen Weg zurück?«
»Nein.«
Mythor stand mit geballten Händen da. Es war das größte Wagnis von allen, die der Turm ihm abverlangt hatte. Er dachte an Nyala, an die Höhle, in der er Gwasamee fand, an Xanadas Lichtburg, in der er Alton, das Gläserne Schwert, errang; an die ihm so seltsam auferlegte Bestimmung, für das Licht zu kämpfen; er dachte an die Erzählungen Etros, an den Bitterwolf.
Er zweifelte wieder. Aber er war schon zu weit gegangen. Die Zweifel würden für alle Zeiten an ihm nagen, wenn er nun umkehrte. Mehr noch, er würde sich diesen Augenblick der Feigheit nicht verzeihen können, wie sehr er ihn nun auch als einen Augenblick der Vernunft erkannte.
Aber Helden, die grübelten und zweifelten und vor der Tat zurückschreckten, solche, die ihre Chance nicht nutzten, gab es genug. Aller bisheriger Mut war umsonst gewesen, wenn er nun zurückschreckte.
Er lauschte in sich hinein, in Erwartung eines Widerspruchs von Merwallon und den anderen. Doch seine Begleiter schwiegen. Es war seine Entscheidung ganz allein, wie er es verlangt hatte. Er lächelte bitter.
Dann tat er entschlossen einen Schritt auf die Statue zu. »Ja, ich denke, dass ich auserwählt bin. Prüfe mich!«
»Halt!« donnerte die Statue, so dass Mythor mitten im Schritt innehielt. »Wisse, Sterblicher, dass ich weise bin über alle Maßen hinaus, auch wenn mein Amt nur das Wachen ist.«
»Ich zweifle nicht daran«, sagte Mythor rasch und durchaus überzeugt.
»So habe ich vor langer Zeit begonnen, selbst Entscheidungen zu treffen«, fuhr Cyclom fort, und es klang, als spreche er mehr zu sich selbst als zu Mythor. »Ich habe erkannt, dass kein Sterblicher für meinen Meister von Bedeutung sein kann. Und ich habe beschlossen, dass kein Sterblicher den zeitlosen Schlummer meines Meister stören wird.«
Mythor starrte die Statue überrascht an. »Du willst mich nicht prüfen?«
»Nein. Ich habe erkannt, dass es nicht notwendig ist. Deshalb habe ich die Bilder in mir zerstört.«
»Du hast.?« entfuhr es Mythor. »So kannst du gar nicht mehr erkennen, ob einer auserwählt ist?«
»Es ist nicht notwendig, nachdem ich erkannt habe, dass keiner für meinen Meister von Bedeutung ist.«
»Wenn dein Meister aber auf jemanden wartet, der eines Tages kommen mag?«
»Es ist nicht von Bedeutung, denn niemand wird meinen Meister aus seinem zeitlosen Schlummer wecken.«
Mythor schüttelte den Kopf. Resigniert starrte er auf den für ihn und sein Schwert sicherlich unüberwindlichen Koloss. Sollte hier alles zu Ende sein? War Althar der Gefangene seines eigenen Wächters?
»Althar!« rief er. »Althar! Herr des Wolkenhorts! Hörst du mich?« Er schrie es mit aller Kraft. Aber vermochten Rufe überhaupt durch diese erzenen Wände zu dringen?
»Es ist nicht sinnvoll, dass du meinen Meister rufst«, dröhnte Cyclom. »Er wäre sonst längst durch meine Stimme erwacht. Sein Schlummer ist nicht von der Art, dass ihn Geräusche wecken könnten.«
»So lass mich zu ihm. Er soll selbst entscheiden.«
»Es ist nicht möglich, da ich beschlossen habe, dass kein Sterblicher ihn wecken wird.«
»So muss ich dich vernichten!« sagte Mythor wütend.
»Kein Sterblicher hätte die Kräfte dazu. Ich bin nicht sterblich.«
»Deine eigenen Kräfte können dich zerstören«, entgegnete Mythor. »Dein eigenes Feuer verbrennt dich. Du bist so sterblich wie alle Geschöpfe. Du selbst frevelst, wenn du dich für etwas Unsterbliches hältst!«
»Erbärmlicher Zweifler!« donnerte Cyclom. Er verstummte. »Die Saat deiner Gedanken ist zerstörerisch«, sagte er nach einem Augenblick. Und abwesend kamen nach einer weiteren Pause die Worte: »Ich muss denken.« Danach herrschte Stille. Mythor verstand nicht, was vorging, doch offensichtlich hatte etwas,
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