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Der magische Turm

Der magische Turm

Titel: Der magische Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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Düsternis.
    *
    Unsichtbar für menschliche Augen bewegten sich vier Gestalten in diesem ersten Stockwerk von Althars Wolkenhort. Einer war Merwallon, Halbprinz aus Thormain. Er war dreißig Sommer gewesen, als er hierherkam auf der Suche nach Macht und Schätzen. Aber das war lange her, mehr Jahre, als er in der ewigen Düsternis des Turmes zu zählen vermochte.
    Ein anderer war Keethwyn, ein Abenteurer aus Gianton, den die Aussicht auf kostbare Beute ebenfalls in den Turm gelockt hatte. Er war jünger als Merwallon, doch Alter hatte längst alle Bedeutung verloren.
    Der dritte, Cheek, ein Mörder, war auf der Flucht zu diesem Turm gekommen.
    Der vierte war sein Verfolger, Oren aus Firwoods, einem kleinen Dorf nicht weit von Lockwergen. Seinen Bruder hatte Cheek erschlagen.
    Aber die Zeit hatte diese Wunden längst geheilt. Der Turm besaß seine eigenen zauberischen Gesetze. Er ließ keinen mehr frei, der sein Inneres gesehen und nicht bezwungen hatte. Er war ein Geheimnis, das sich selbst hütete.
    Auch der Tod besaß keine Macht in Althars Turm. So geschah es, als ihre Körper verwesten und zu Staub zerfielen, dass auch ihre Geister keinen Weg aus dem ehernen Gefängnis fanden und zum Dasein verurteilt waren. Sie alle hatten sich gewaltsam Einlass verschafft, und sie alle hatten versucht, in die oberen Stockwerke zu gelangen. Doch ihre Ausflüge endeten in Alpträumen, aus denen sie schreiend und körperlos erwachten, selbst Merwallon, der höfisch erzogen und gebildet war und über die abergläubischen Gemüter seiner Landsleute lachte.
    So verbrachten sie mehr als ein Menschenalter körperlos und allein mit sich und ihrer Unsterblichkeit in diesem Raum des Turmes. Sie starben tausend Tode der Langeweile und der Sehnsucht, denn selbst ihre Gedanken und Vorstellungen über die Welt draußen vermochten die ehernen Mauern nicht zu durchdringen. Sie selbst waren alles, was sie besaßen. Bald gab es keinen Gedanken mehr, den sie nicht gedacht hatten, keine Erinnerung mehr, die sie nicht bis in ihren letzten Winkel durchlebt hatten, keinen Plan, den sie nicht längst geschmiedet hatten. In diesen Tagen, als bereits die dunklen Schwingen des Wahnsinns ihre Schatten über sie warfen, erfanden sie den Tod. Sie entdeckten, dass sie einander Gedanken und Erinnerungen wegnehmen konnten, bis nichts mehr übrigblieb.
    In diesem kritischen Augenblick gelang einem Neuen, einem tainnianischen Piraten, der Einbruch in den Turm. Als er in den Raum der vier kam, war er kostbarer als alle Schätze, die in den oberen Kammern des Turmes liegen mochten - ein Kelch wundervoller, fremder Gedanken, Ideen und Erinnerungen. Sie leerten ihn bis auf den letzten Tropfen, bevor er sich der Gefahr überhaupt bewusst wurde.
    Bevor sein Körper noch völlig verwest war, kamen andere Diebe, Schurken, Abenteurer, Edelmänner, Prinzen mit Raub im Herzen und der Klinge in der Faust.
    Von ihnen allen blieben nur leere, geistlose Körper, die blind und unverständliche Laute von sich gebend durch den Raum irrten, bis sie Hungers starben, während die vier in ihrer Beute versanken wie in einer Droge.
    Und dann kam Mythor.
    »Er ist nicht wie die anderen«, stellte Merwallon fest.
    »Er ist wirklich ein seltsamer Vogel«, stimmte Cheek zu.
    »Er kommt nicht her, um zu plündern«, murmelte Keethwyn, der Abenteurer.
    »Er kommt her, weil er die Welt retten will«, sagte Oren aus Firwoods fassungslos.
    Eine Weile musterten sie Mythors kräftigen Körper. Dann kicherte Cheek.
    »Also.«, meinte Keethwyn.
    »Wenn ihr mich fragt, er ist ein Narr!«
    »Hmmmm.«
    »Er zweifelt wohl an sich selbst, aber er meint es ehrlich«, gab Merwallon zu bedenken.
    »Wer sind wir, dass wir das vergelten sollten?« meinte Cheek wegwerfend.
    »Es wäre auch eine Chance für uns«, bemerkte Merwallon.
    »Wovor wollten wir wohl gerettet werden?« fragte Cheek ironisch.
    »Vor einer Ewigkeit der Langeweile«, sagte Merwallon müde. »Nicht einmal die gewiss ungewöhnlichen Erinnerungen dieses Mythor haben etwas in mir höher schlagen lassen. Wir haben kein Herz, keinen Pulsschlag, kein Blut, keinen Schmerz, keine Lust. Die Dinge, die wirklich wichtig sind. Lieben, Kämpfen, Essen, Trinken. Fühlen. ihr Götter! Sie sind uns verlorengegangen. Erinnerungen sind alles, was wir haben. Und sie sind so dürftig, dass wir uns vor unheiligem Hunger auf die Erinnerungen anderer stürzen: Wir sind Ungeheuer!«
    »Ungeheuer?« entfuhr es Cheek. »Weil wir nicht verrückt werden wollen? Weil

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