Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Diddy.«
»Ist doch egal. Diese ganzen Typen mit schlechter Haltung und Strickmütze und ihren halb heruntergerutschten Hosen können ihre Klagen woanders rausschreien, aber nicht in dieser Karre.«
»Du weißt aber schon, dass die Achtziger inzwischen Geschichte sind, oder?«
»Eines Tages werde ich dich noch bekehren, Joakim. Mach dich drauf gefasst.«
Joakim Carlsen zog sich die Mütze über die Augen und seufzte demonstrativ. Eigentlich war er stolz auf seinen Vater und fand die meisten seiner Ansichten auch ganz lustig. Auf seine etwas schräge Art war er definitiv ein cooler Vater, kein langweiliger Durchschnitt – und das nicht nur, weil er als Polizist arbeitete, sondern auch, weil das Rad der Zeit für ihn vor fünfundzwanzig Jahren stehen geblieben war. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sein Vater die wilden Achtziger jemals hinter sich lassen würde, und als seine Mutter auszog, hatte sie sich ganz ähnlich geäußert. »Wir haben uns auseinandergelebt«, sagte sie immer, wenn man sie nach dem Grund fragte. »Soll heißen, ich habe mich weiterentwickelt, er klebt in der Vergangenheit fest.« Joakim fiel es nicht schwer, ihr diese Erklärung abzukaufen. Das lag jedoch nicht nur an dem türkisfarbenen Volvo, den sein Vater sei 1985 besaß. Rino Carlsen hatte sein wahres Ich längst gefunden und sah keinen Bedarf für Veränderungen.
»Ich setz dich an der Tanke ab. Ich kann aber nicht sagen, wann ich heute Abend nach Hause komme, wir haben da einen neuen Fall.«
»Mord, Vergewaltigung oder hat einfach jemand in der Öffentlichkeit gepinkelt?«
»Einen Fall«, wiederholte Rino und setzte den Blinker.
»Okay. Ich nehm ein paar Kumpels mit nach Hause, dann können wir die Stereoanlage ein bisschen traktieren.« Joakim stieg aus. »P. Diddy«, fügte er hinzu, bevor er die Tür zuschlug.
Rino drohte ihm mit der Faust und grinste breit. Sein Sohn antwortete mit einer Handbewegung, die er sich vor kurzem zugelegt hatte und die höchstwahrscheinlich aus der Welt des Hip-Hop stammte. Der Junge hatte selbst vorgeschlagen, dass Rino und seine Exfrau sich das Sorgerecht teilen soll-
ten. Im Großen und Ganzen konnte er mit Hilfe dieser Lösung die Scheidung seiner Eltern einigermaßen bewältigen, wahrscheinlich auch, weil sie eher still verlaufen war. Die obligatorischen Konflikte waren ausgeblieben – bis sie Rino vor ein paar Wochen per SMS um seine Zustimmung bat, Joakim mit Ritalin zu behandeln. Da hatte er rot gesehen. Das bedeutete, dass er nicht nur eine eher zweifelhafte Diagnose akzeptieren sollte, daneben sollte der Junge auch noch ein Psychostimulans verabreicht bekommen – und das in einer Phase, in der Eltern doch eigentlich alles taten, was in ihrer Macht stand, um ihre Kinder vor Drogen zu schützen. Es stimmte zwar, dass Joakim Schwierigkeiten hatte, zur Ruhe zu kommen, und dazu gehörte auch, dass er sich nur schwer in den strikten Schulalltag einfand. Aber deswegen eine Behandlung zu beginnen, die das Kind praktisch von morgens bis abends medikamentös ruhigstellte, war bestenfalls eine Überreaktion. Er umklammerte das Lenkrad fester. Wenn Joakim seinen Weg zu innerer Ruhe nur fand, indem er Frisbee mit den Ronan-Keeting- CD s seiner Mutter spielte, dann bitte sehr. Auf Rinos Einwilligung in diese Therapie konnte sie jedenfalls lange warten.
Ein paar Minuten später parkte er vor dem Krankenhaus und ging zur internistischen Abteilung. Nachdem er sich am Empfang gemeldet hatte, wurde er sofort zu einem Büro geführt.
Der Arzt, der aussah, als wäre er eher in der späten Pubertät, dessen Haltung aber von jahrelanger Erfahrung kündete, musterte ihn skeptisch. »Wer sind Sie bitte?«
»Der Polizist.« Entschuldigend zuckte er mit den Schultern und reichte dem Mann die Hand. »Rino Carlsen. Das halbe Polizeikorps ist mit dem Ministerbesuch beschäftigt. Ich mache quasi den Bereitschaftsdienst für den Bereitschaftsdienst.«
Der Arzt nickte, um zu signalisieren, dass er zwar seine Zweifel hatte, aber doch glaubte, dass dieser jeansbekleidete Mensch tatsächlich Polizist war. Dann starrte er wieder bekümmert auf seinen Computer, als wäre alles Leiden vom Patienten auf die Festplatte übergegangen. »Ich muss Sie aber bitten, sich auf das Allernotwendigste zu beschränken. Zehn Minuten maximal. Der Patient war bei seiner Einlieferung in einem äußerst schlechten Zustand, sowohl psychisch als auch physisch. Erfrierungen können in vielen Formen auftreten. Manche spürt man
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