Der Makedonier
ausersehen sind, der aber zweifellos unser aller Leben beherrscht. Meine Bestimmung war, Haushofmeister von vier Königen zu sein und dich zum Mann zu erziehen – keine sehr ruhmreiche Bestimmung, könnte man sagen, aber ich glaube, eine bessere als die mancher Könige.«
Er hielt einen Augenblick inne und hob die Schale an die Lippen, um zu kosten, als wollte er sichergehen, daß der Weinhändler ihn nicht betrogen hatte. Philipp wartete schweigend, denn er wußte, der alte Mann ließ sich nicht drängen, sondern sagte, was er zu sagen hatte, wann er es für angebracht hielt. Das war schon nicht anders gewesen, als Glaukon ihm als acht- oder neunjährigen Knaben die unterschiedlichen Qualitätsgrade von Olivenöl erklärt hatte und wie man einen angemessenen Preis für sie errechnete.
»Ich will nicht respektlos sein, Herr, aber die meisten Könige sind armselige Wesen und ihre Größe nur eine Einbildung, denn sie sind auch nicht anders als andere Männer. Es ist gleichgültig, ob ihre Herrschaft lang oder kurz ist; sie stolzieren eine Weile auf der Erde umher und werden dann zu Staub. Sie sind nichts als Kiesel, die in das Meer der Sterblichkeit geworfen wurden -das Wasser schließt sich wieder über ihnen, und bald darauf ist auch von den Kräuseln nichts mehr zu sehen. Kaum sind ihre Urnen verschlossen, ist es, als hätten sie nie gelebt, und nur die Geschichtsschreiber erinnern sich noch an ihre Namen. So war es mit deinem Vater, dem König Amyntas. So war es mit Alexandros. Und so wird es auch mit Perdikkas sein. Aber ich glaube nicht, daß der Himmel dir ein solches Schicksal bestimmt hat.«
»Willst du damit sagen, daß ich nie König von Makedonien sein werde?«
»Ich will damit sagen, daß es gleichgültig ist, ob du esbist oder nicht.« Glaukon schüttelte den Kopf, als wäre Philipp noch der kleine Junge, dem er das Rechnen beigebracht und der jetzt einen Fehler gemacht hatte. »Deshalb hast du dich geirrt, als du geglaubt hast, ich hätte dich des Ehrgeizes beschuldigt. Ehrgeiz ist etwas für geringe Männer. Ich spreche von einem Ruhm, der weit über den Titel eines Königs hinausgeht. Ich spreche von Größe, die nur die Götter einem Mann verleihen können, und zwar als Geschenk – oder auch als Fluch, denn sie richtet sich nicht nach seinen Absichten, sondern nach den ihren. Ich weiß, daß du diese Größe dein ganzes Leben lang in dir getragen hast. Ich habe es schon gewußt, als ich dich in dieser ersten Nacht in meinen Armen nach Hause getragen habe, als Herakles so hell am schwarzen Himmel strahlte. Und jetzt, glaube ich, ist sie dabei, von dir Besitz zu ergreifen.«
Während Philipp mit seiner Eskorte unterwegs nach Pella war, verbreitete sich die Nachricht von Perdikkas Tod auf den weiten Ebenen Makedoniens wie ein Lauffeuer. Jeder Hirtenjunge wußte, was das bedeutete: Das Land war von Feinden umzingelt, die halbe Armee lag tot in der Wildnis hinter den Bergen, und der Thronerbe war noch nicht einmal alt genug, um auf seinen Füßen zu stehen. Eine Zeit schwerer Prüfungen stand bevor, in der sich die Katastrophe des Königs auch im entferntesten Dorf und in der bescheidensten Bauernhütte bemerkbar machen würde.
Dieses Wissen stand den Männern und Frauen ins Gesicht geschrieben, die in stummer Ehrerbietung den Weg säumten, auf dem der letzte von Amyntas’ Söhnen nach Pella ritt. Sie sprachen nicht. Sie folgten ihm nur mit den Augen. Er brauchte diese Menschen nur anzusehen, um zu wissen, daß sie sich von ihm den Schutz ihrer Heimat und die Abwehr der Feinde erhofften. Das war die uralte Pflicht der Argeaden, die seit den Tagen der Helden den M akedoniern ihre Könige gaben, eine Pflicht, die jetzt Philipp zufiel.
Als sie nur noch etwa eine Stunde von den Toren der alten Hauptstadt Aigai entfernt waren, fanden sie die Straße verstopft von Fußsoldaten und Reiterei aus der Garnison der Stadt.
»Was hat denn das zu bedeuten?« rief Korous, zügelte sein Pferd und ließ die Eskorte anhalten. »Soll das etwa eine Meuterei sein?«
Philipp lachte nur. »Wenigstens habe ich den Trost zu wissen, daß sie nicht gegen mich meutern können, denn ich habe keine Befehlsgewalt über sie.« Mit einem leichten Fersendruck trieb er Alastor vorwärts. »Komm. Laß uns nachsehen, was sie wollen.«
Als er sich der Straße näherte, ritt ihm der Garnisonshauptmann entgegen. Er war etwa vierzig Jahre alt, hatte ein rotes Gesicht und eine leicht knollenförmige Nase, die ihm etwas Zorniges
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