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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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verlieh. Früher war er ein aufstrebender junger Offizier in der königlichen Garnison in Pella gewesen. Philipp wußte noch, daß er als Kind immer Angst vor ihm gehabt hatte.
    »Epikles, warum dieser Empfang?« fragte er jetzt ohne eine Spur von Angst. Der Mann schien überrascht, daß Philipp ihn erkannt hatte. »Willst du uns aufhalten, oder soll das ein Zeichen der Gastfreundschaft sein?«
    »Weder noch, Philipp, mein Gebieter. Wir wollen dich nach Pella begleiten.« Epikles hielt einen Augenblick inne, als erwartete er eine Erwiderung, und fuhr dann fort: »Du bist der letzte des königlichen Geschlechts, Prinz, und man darf nicht zulassen, daß jemand dir die Krone deines Bruders verweigert. Die Soldaten haben untereinander abgestimmt, und wir gehören dir bis zum letzten Mann.«
    »Du irrst dich, denn ich bin nicht der letzte des Geschlechts. Perdikkas hat einen Sohn hinterlassen.«
    »Ein Säugling kann nicht König sein«, erwiderte Epikies erregt. »Die Soldaten werden dich wählen. Dafür werden wir schon sorgen.«
    Philipp musterte den Garnisonshauptmann mit einem Blick teilnahmsloser Neugier – man hätte meinen können, er studiere ein mathematisches Problem. Dann legte er sich die rechte Hand in den Nacken und zuckte die Achseln, als verzweifle er an dieser Lösung.
    »Wenn du und deine Männer mit mir reisen wollt, dann seid ihr willkommen«, sagte er schließlich. »Ich kann euch nicht davon abhalten und würde es auch nicht, wenn ich könnte, denn jeder Makedonier unter Waffen hat das Recht auf einen Platz in der Versammlung, wenn ein neuer König gewählt wird. Aber bildet euch nicht ein, daß ich uralte Gesetze umstoßen werde. Ihr werdet mich nicht zum Anführer eines Staatsstreichs machen.«
    Nach einem Augenblick des Nachdenkens nickte Epikles heftig. »Das ist nur recht und billig, mein Prinz. Wir werden es der Versammlung überlassen.«
    In dieser Nacht schlief Philipp in der Garnison, nachdem er die Gemächer, die man in dem alten, seit fünfzig Jahren nicht mehr bewohnten Palast für ihn vorbereitet hatte, abgelehnt hatte. Am nächsten Morgen erhielt er beim Frühstück die Nachricht, daß eine Abordnung aus Beroia ihn zu sprechen wünsche. Auch sie wollten ihn unterstützen und baten, ihn nach Pella begleiten zu dürfen, und er gewährte ihnen diese Bitte unter den gleichen Bedingungen wie Epikles. Noch in derselben Stunde erreichten ihn Botschaften der Garnisonshauptleute von Meiza und Aloros.
    »Ich vermute, du weißt, was das heißt«, sagte Korous zu ihm, als sie schließlich im Hof der Garnison ihre Pferde bestiegen. »Sie haben vor, dich zum König zu machen, ob du nun willst oder nicht. Sie haben keine andere Wahl, und du ebenfalls nicht, wenn Makedonien überleben soll. Du solltest dir überlegen, was du mit dem Kind tun willst.«
    Philipp hatte das Gefühl, als würde ihm ein Eiszapfen in die Eingeweide gestoßen, denn er wußte genau, was Korous im Sinn hatte.
    »Ja«, sagte er und sah sich um, als würde er die Soldaten seiner Eskorte zählen. »Ich weiß, was das heißt.«
    Als er drei Tage später Pella erreichte, säumten zwar große Menschenmassen die Straßen, doch sie begrüßten ihn schweigend. Ebensogut hätte er ein Eindringling sein können, der in eine eroberte Stadt einritt, denn sie beobachteten seine Ankunft mit einer Mischung aus Neugier und Angst.
    »Natürlich haben sie Angst«, dachte er. Es war nur verständlich. In den letzten Jahren hatte er kaum in Pella gelebt, und Perdikkas’ zwiespältiges Verhältnis zu ihm hatte sicher auf die Bürger seiner Hauptstadt abgefärbt. Sie wußten nicht, was sie von diesem Fremden zu erwarten hatten.
    Das war nicht unberechtigt, denn er wußte selbst nicht, was er von sich erwarten sollte.
    Er ließ seine Eskorte in der Garnison und ritt allein in den Hof des königlichen Palasts. Die meisten, die sich dort versammelt hatten, um ihn zu begrüßen, waren alte Diener, die Philipp schon als Knaben gekannt hatten, aber unter ihnen waren auch Euphraeos und Arete.
    Beim Anblick der Witwe seines Bruders, die er seit ihrer Hochzeit nicht mehr gesehen hatte, schnürte es Philipp die Kehle zu. Er umarmte sie und weinte, doch offenbar sollte ihm sogar der Trost geteilten Leids verweigert werden, denn Arete stand, die Arme vor der Brust verschränkt, steif und starr da.
    »Die Götter wissen, wie schwer es ist«, sagte er mit tränenerstickter Stimme. »Unsere Familie scheint das Leid anzuziehen, wie eine Mutter ihre Kinder um sich

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