Der Makedonier
versammelt, aber wenigstens das hätte uns erspart bleiben können.«
Sie antwortete nicht gleich, sondern starrte ihn nur an,als würde sie die Darstellungskunst eines Schauspielers in einer Tragödie begutachten.
»Du wirst meinen Sohn nicht um sein Geburtsrecht betrügen«, sagte sie schließlich. »Jetzt ist mein Sohn König.«
Sie schüttelte seine Arme ab, und während Philipp noch nach Worten der Erklärung suchte, drehte sie sich um und kehrte im Laufschritt in den Palast zurück. »Du wirst meinen Sohn nicht beiseite drängen!« Die Worte waren wie ein Fluch und hingen noch in der Luft, als sie schon im Palast verschwunden war.
»Sie hat Angst vor dir«, bemerkte Euphraeos mit seiner üblichen kühlen Selbstverständlichkeit. Er war vorgetreten und hatte sich mit ausgesuchter Höflichkeit vor Philipp verbeugt. »Sie hält dich für den gefährlichsten der vielen Feinde, die sie und ihr Kind umringen. Sie würde sogar Bardylis dir vorziehen.«
»Und wer hat ihr dieses Hirngespinst in den Kopf gesetzt?«
Der Philosoph zeigte ein dünnes, magensaures Lächeln. »Ich könnte mir vorstellen, ihr Gemahl.«
»Und wer in seinen?«
Euphraeos schwieg einen Augenblick, als hätte er die Frage nicht verstanden. Vielleicht gefiel ihm aber auch nicht, worauf sie hinauslief. Sein Blick schweifte ab, und er schien das Mauerwerk des Palasts zu betrachten.
»Sie ist eine Gefahr«, sagte er dann und lächelte wieder. »Sie und das Kind werden immer eine Quelle des Widerstands gegen deine Herrschaft sein. Ich glaube nicht, daß du dir das in der augenblicklichen Krise leisten kannst.«
»Was schlägst du vor?«
»Daß du sie beide töten läßt.«
Er sagte das sehr beiläufig, als wäre dies so offensichtlich, daß er sich fast schämte, es auszusprechen. »Ich könnte dir von Nutzen sein.«
»Beim Töten? Dazu brauche ich dich nicht, Athener, dazu gibt es andere Mittel.«
»Auf andere Art. Ich könnte dir zu Diensten sein.«
»Wie du meinem Bruder zu Diensten warst? Du hast schon genug Schaden angerichtet.«
Euphraeos riß den Kopf herum und starrte Philipp an. Er schien entsetzt. Diese Antwort hatte er offensichtlich am allerwenigsten erwartet.
»Die Versammlung wird in zwei oder drei Tagen zusammentreten«, fuhr Philipp mit harter, gelassener Stimme fort. »Du würdest gut daran tun, dann auf einem Schiff zu sein. Ich wäre nicht zu wählerisch, was das Ziel angeht, denn wenn ich dich noch in der Stadt finde, nachdem die Makedonier ihren Willen kundgetan haben, lasse ich deinen Kopf auf die Spitze eines Speers stecken.«
Als die Versammlung zusammentrat, nahm Philipp seinen Platz auf der Bank ein, die den Argeaden vorbehalten war. Nichts hätte deutlicher machen können, welche Wahl die Makedonier hatten, denn er saß dort ganz allein. Er sprach mit niemandem und beteiligte sich auch nicht an der Debatte.
Das Amphitheater war fast bis an den Rand gefüllt, denn nahezu jede Garnison des Reichs hatte eine so große Abordnung nach Pella gesandt, wie sie nur entbehren konnte. Die Brustpanzer funkelten in den Strahlen der Wintersonne so hell, daß man kaum hinsehen konnte.
Zuerst wurden Gebete gesprochen und Opfer dargebracht – auf einem Altar im Mittelpunkt des Theaters wurden Knochen und Fett vom Hinterteil eines Stiers verbrannt –, und dann stand der Befehlshaber der Garnison von Pella auf. Dardanos war bereits über sechzig und so beleibt, daß sein Bursche ihm beim Aufstehen helfen mußte, aber in den Tagen des alten Königs Amyntas war er ein berühmter Soldat gewesen. Nach uraltem Brauch hatte er das Recht, als erster zu sprechen.
Er hob die Hand, um sich Ruhe zu erbitten. »Wir haben nur zwei Möglichkeiten«, begann er. »Wir können das Kind Amyntas zum König wählen und bis zuseiner Volljährigkeit seinen Onkel Philipp zum Regenten ernennen, oder wir können Amyntas übergehen und an seiner Stelle Philipp zum König wählen. Diese beiden sind die letzten aus dem königlichen Geschlecht, die nicht durch Tod oder Verrat ihren Anspruch auf den Thron verloren haben.
In normalen Zeiten folgt der Sohn seinem Vater nach, wenn aber der natürliche Erbe auf Grund irgendwelcher Mängel für unfähig erachtet wird oder wenn drohende Gefahren es verlangen, dann hat die Versammlung das Recht, sich für einen anderen zu entscheiden.
Die Frage ist also nicht, wer regieren wird, denn die Ausübung der Macht wird natürlich bei Philipp liegen, sondern wer König sein wird. Bei der Suche nach einer
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