Der Makedonier
gleichen Schwäche: Je älter der Knabenkönig wird, desto mehr sorgen sich die Männer um ihre Zukunft. Deine Herrschaft wird an höfischen Streitereien zerbrechen.«
Philipp ließ ein kurzes, freudloses Lachen hören.
»Korous, wenn es in fünf Jahren noch ein Makedonien gibt, um das man sich streiten kann, dann werde ich meinen Platz gerne räumen. Aber ich glaube, bis dahin habe ich von einem Säugling, der gerade seine ersten Zähne bekommt, wenig zu befürchten.«
Er stand sehr langsam auf, als müßte er sich an eine schwere Last auf seinem Rücken erst gewöhnen.
»Wenn wir nach Pella aufbrechen, werden wir den Knaben Deucalion mitnehmen. Das wird seinen Vater daran erinnern, daß er etwas zu verlieren hat, wenn er sich überlegt, ob er sich auf die Seite der Illyrer schlagen soll.
Lachios, verdopple die Wachen am Zygospaß. Wir wollen doch wenigstens diese Tür vor dem Feind geschlossen halten.
Und schick einen Gesandten zu Bardylis, um ihn zu fragen, unter welchen Bedingungen er uns die Leiche des Königs zur Bestattung herausgibt – immerhin war Perdikkas sein Urenkel.«
Er lächelte schwach, als wüßte er, daß er nur einen schlechten Witz gemacht hatte.
»Ansonsten gibt es nichts weiter zu sagen. Bitte seid so gut und verlaßt mich jetzt.«
Als er dann wieder allein war, schloß er die Augen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Zuviel auf einmal stürzte da auf ihn ein. Er wußte, daß er es sich nicht leisten konnte, an seinen Bruder zu denken, an dessen Leiche, wenn Bardylis nicht den Anstand gehabt hatte, sie zu verbrennen, sich in diesem Augenblick die Krähen mästeten. Er konnte sich den Luxus der Trauer nicht leisten. Er konnte auch nicht groß Rache schwören, denn nur die Götter wußten, welche Art von Übereinkunft er mit den Illyrern würde treffen müssen. Er durfte an Perdikkas’ Tod nur insoweit denken, als es die Sicherheit Makedoniens betraf; für persönliche Gefühle war kein Platz.
Er durfte an nichts anderes denken als an die augenblickliche Lage. Perdikkas war vernichtet und mit ihm eine Streitmacht von viertausend Mann, etwa die Hälfte der gesamten Armee. Das bedeutete, daß praktisch nichts zwischen den Illyrern und den nordwestlichen Provinzen stand. Die Beziehungen zu Athen waren schlecht, und die Paionier und Thraker waren, wie immer, feindlich eingestellt. Es war durchaus möglich, daß diese vier Makedonien unter sich aufteilten und auf seinen Thron setzten, wer ihnen am gefälligsten war.
Philipps Aufgabe war es nun, all das zu verhindern. Er allein stand zwischen Makedonien und dem Chaos. Es gabeinfach keinen anderen. Daß er auch versagen konnte, verdrängte Philipp, denn allein schon bei dem Gedanken daran wurde ihm schwindlig vor Angst.
Morgen früh, vor der Abreise nach Pella, wollte er in den Tempel der Athene gehen und der blauäugigen Göttin opfern. Er würde ihren Beistand brauchen.
Jetzt aber ging er in Glaukons Wohnung in der Nähe der Dienstbotenzimmer, wo er den alten Mann, das wußte er, wie an jedem Abend über seinen Haushaltsbüchern finden würde. Philipp nahm einen Krug Wein mit.
Er machte sich nicht die Mühe zu klopfen, denn ein Mann braucht keine Einladung, wenn er das Haus seines Vater betreten will. Glaukon schien nicht überrascht, ihn zu sehen. Warum hätte er auch überrascht sein sollen. Er blickte nur von seinem Schreibtisch auf, und als er den Wein sah, lächelte er.
»Wir gehen mal wieder auf Reisen«, sagte Philipp und erbrach mit dem Daumen das Siegel des Krugs. »Kannst du morgen früh zum Aufbruch nach Pella fertig sein?«
Glaukon holte zwei Trinkschalen und stellte sie auf den Tisch. »Was ist passiert?« fragte er, während Philipp den Wein eingoß.
»Perdikkas ist tot. Sein illyrisches Abenteuer hat in einem Gemetzel geendet.«
Lange Zeit erwiderte der Haushofmeister des Königs nichts. Er starrte nur seine Trinkschale an, als wäre sie mit Blut gefüllt.
»Dann ist dein großer Augenblick endlich da.«
»Willst du dich über mich lustig machen?« fragte Philipp, der zum erstenmal in seinem Leben wütend war auf den Mann, der ihn großgezogen hatte. »Ich glaube nicht, daß ich mich des Ehrgeizes schuldig gemacht habe.«
»Ich habe auch nicht von deinen Absichten gesprochen, sondern von denen der Götter.« Glaukon, der ansonsten Könige nicht zu tadeln pflegte, sprach fast so streng wie Philipp. »Jeder Mann hat seine ganz persönliche Bestimmung, seinen Platz in dem großen Plan, den zu begreifen wir nicht
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