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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Antwort müssen wir die Zeit beachten, in der wir leben, und es ist keiner hier, der nicht ebensogut weiß wie ich, in welche Krise uns König Perdikkas’ Tod gestürzt hat. Wir alle wissen, daß Philipp, soll er uns aus dieser Notlage herausführen – sofern das überhaupt möglich ist –, alle Macht braucht, die diese Versammlung ihm verleihen kann. Laßt uns deshalb entscheiden, ob wir uns den Luxus eines Kindkönigs leisten können oder ob wir einen Mann und einen bewährten Soldaten auf Makedoniens Thron brauchen!«
    Nach dieser Rede bestanden kaum noch Zweifel, wie die Wahl ausgehen würde. Unter zustimmendem Gemurmel setzte Dardanos sich wieder. Der nächste, der aufstand, der Garnisonshauptmann von Aigai, stellte den förmlichen Antrag, Philipp, den Sohn von Amyntas, zum König von Makedonien zu ernennen.
    Danach sprach niemand mehr – es hätte sich auch niemand mehr verständlich machen können. Die ganze Versammlung erhob sich wie ein Mann, und alle strömtenhinunter in die Senke des Amphitheaters, um sich vor dem neuen König aufzustellen und zum Zeichen ihrer Gefolgstreue seinen Namen zu rufen und mit den Breitseiten ihrer Schwerter gegen die Brustpanzer zu schlagen. Der Lärm ließ die Luft erzittern.
    Philipp stand auf. Er war umgeben von einer Mauer aus erhobenen Schwertern, und er berührte die Spitzen derjenigen, die ihm am nächsten waren, um damit den Männern zu zeigen, daß er die Wahl annahm. Er sprach nicht – seine neuen Untertanen wollten keine Worte hören, und es hätte sie auch niemand verstanden –, sondern wartete nur still, bis sich für ihn ein Weg zum Eingang öffnete. Er würde nun seine erste Pflicht als König erfüllen und seine Soldaten zum Tempel des Herakles führen, um dort die Waffen zu läutern.
    Manchmal spielt die Erinnerung einem Mann die merkwürdigsten Streiche. Als er vor dem Eingang des Amphitheaters stand und die versammelten Bürger von Pella ihm zujubelten, schien er nichts und niemanden zu hören, schien er sie nicht zu hören. Statt dessen kam es ihm vor, als wäre er selbst Teil einer anderen riesigen, jubelnden Menge, als stünde er am Straßenrand und sähe zusammen mit seinen Brüdern Perdikkas und Arrhidaios zu, wie Alexandros zum König ausgerufen wird. Vor seinem geistigen Auge waren sie alle wieder lebendig, unbefleckt von Verrat und Tod. Welch strahlender Held war Alexandros in diesem Augenblick gewesen!
    »Mein König Philipp!«
    Der Klang einer Frauenstimme, wie der Schrei eines wilden Tieres in Todesangst, brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er erkannte kaum, wer es war, die da mit einem Bündel im Arm auf ihn zustürzte. Sie warf sich vor ihm nieder und streckte in einer Geste demütigen Flehens die Hand nach seinem Fuß aus.
    Dann hob sie den Kopf und sah ihn an: Es war Arete. Sie hielt ihr Kind in den Armen. Die Menge verstummte.
    »Philipp, mein Gebieter, ich flehe dich an, das Leben deines Brudersohnes zu verschonen«, schluchzte sie. »Ich unterwerfe mich dir. Ich bitte dich um sein Leben.«
    Ringsumher hörte Philipp das Scharren von Füßen und das leise Klirren von Schwertern, die aus ihren Scheiden gezogen wurden. Die Offiziere in seiner Umgebung, von denen viele gar nicht sehen konnten, was geschah, wußten nicht, was sie zu erwarten hatten und verspürten wenig Neigung zur Milde, denn zu viel hing vom Leben dieses einen Mannes ab.
    »Steckt eure Waffen wieder ein«, sagte er, mit einer Stimme, die zugleich bestimmt und gelassen war, als würde er einem Diener befehlen, den Tisch abzuräumen. »Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«
    »Ich bitte dich um sein Leben«, wiederholte Arete, und ihre Worte gingen in ein Schluchzen über. Ihre ausgestreckte Hand ruhte noch immer auf seinem Fuß.
    »Am besten tötest du sie beide«, flüsterte jemand hinter Philipp. Er erkannte die Stimme nicht, und er wollte es auch gar nicht. »Wir liegen mit der halben Welt im Krieg, und ein verdrängter Erbe sinnt auf Verrat. Am besten tötest du sie sofort.«
    »Und muß ich deshalb auch dem Himmel den Krieg erklären?« erwiderte Philipp, ohne sich umzudrehen. »Ich will den Beginn meiner Herrschaft nicht mit unschuldigem Blut besudeln.«
    Er kniete sich hin, faßte die Witwe seines Bruders bei den Schultern und zog sie hoch.
    »Dir wird nichts geschehen, und ihm wird nichts geschehen.« Er nahm ihr das Kind ab und hielt es in seinen Armen.
    »Dieser Junge ist der Sohn meines Bruders Perdikkas«, verkündete er. »Ich werde für ihn an die

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