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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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er Deucalion zu sich bringen ließ. Als der junge Mann in seinem Zelt erschien, gab er ihm die Meldung und wartete schweigend, bis er sie gelesen hatte.
    »Ich habe meinen Vater seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen«, sagte Deucalion, wie bestürzt über diese Erkenntnis.
    »Dann mußt du ihn sofort sehen.« Philipp saß hinter dem kleinen Tischchen, das er im Feld als Schreibtisch benutzte, spielte nervös mit seiner Schreibfeder und dachte an die Nacht, in der Amyntas gestorben war. »Du mußt bei ihm sein, wenn… Vielleicht will er dir noch etwas sagen. Und dann wirst du an seiner Stelle König sein.«
    Daran hatte der Junge offensichtlich noch gar nicht gedacht, denn sein Gesicht verdüsterte sich.
    »Du wirst morgen mit einer Ehrengarde von zwanzig Mann aufbrechen«, fuhr Philipp fort, als hätte er nichts bemerkt. »Sie werden dich bis zur Grenze bringen, und was für eine Eskorte dich dort empfängt, hängt von den Ministern deines Vaters ab. Ich habe heute morgen einen Reiter losgeschickt, und ein Teil seiner Botschaft lautet, daß der König von Makedonien Deucalion, den Sohn von Aias, als rechtmäßigen Erben des Thrones seines Vaters anerkennt – ihn und keinen anderen. Ich glaube, sie werden den Wink verstehen, und man wird dir dein Recht nicht streitig machen. Aber warte, bis du die Treueschwüre empfangen hast, bevor du mir schreibst. Dann kannst du Vorkehrungen treffen für die Rückkehr deines Bruders.«
    »Du läßt Ctesios also mit mir zurückkehren?«
    Philipp schüttelte den Kopf, als hätte er die Zielrichtung von Deucalions erstaunter Frage nicht verstanden. »Nicht mit dir, nach dir. Die ersten Stunden einer neuenHerrschaft sind immer gefährlich, aber die Tatsache, daß ich deinen Bruder in meiner Gewalt habe, wird dir einen gewissen Schutz gewähren. Denn falls ein Rivale dich töten sollte, habe ich immer noch den rechtmäßigen Erben. Erst wenn du die Macht sicher in Händen hältst, ist es Zeit für Ctesios’ Rückkehr.
    Aber das ist nicht das Thema, das wir beide heute nacht besprechen müssen. Makedonien wird bald mit den Illyrern im Krieg sein – genaugenommen sind wir bereits im Krieg, denn die Illyrer bereiten in diesem Augenblick einen Angriff auf Lynkestis vor. Ich möchte gern wissen, wessen Partei die Eordioten ergreifen werden.«
    Einen Augenblick lang sah Deucalion aus, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen.
    »Wenn du vorhast, meinen Bruder freizulassen, mußt du doch wissen, daß ich dir treu bin«, sagte er beinahe wütend. »Wir beide sind es. Du warst doch wie ein Vater zu uns.«
    Philipps Gesicht blieb undurchdringlich ernst. »Wenn du erst einmal König bist, wirst du erkennen, daß es größere Forderungen an dich gibt als die der Freundschaft. Die Eordioten vergessen manchmal, daß sie Makedonier sind.«
    »Aber du hast mich daran erinnert, daß wir ein Volk sind.« Der Erbe von Aias’ Thron trat einen Schritt vor, und in seinen Augen glitzerten unvergessene Tränen. »Auf dein Wort hin würde ich… Sag, welchen Eid du von mir verlangst, und ich werde ihn leisten.«
    »Ich verlange keinen Eid.« Nun gestattete Philipp sich doch ein Lächeln. »Ich muß nur wissen, was du denkst.«
    »Was willst du von mir?« fragte Deucalion und sah dabei fast erleichtert aus.
    »Nichts.« Philipp stand auf und legte dem jungen Mann den Arm um die Schultern. »Wir werden ein anderes Mal weiterreden. Geh jetzt in dein Zelt zurück. Meide die anderen. Dein Vater liegt im Sterben, und vielleicht bekommst du so schnell keine Gelegenheit mehr, mit deinem Kummer allein zu sein.«
     
    Deucalion hatte sich als guter Soldat erwiesen und war bei Philipps Männern sehr beliebt. Und als ihn am nächsten Morgen der König umarmte und ihm eine gute Reise wünschte, verabschiedete die makedonische Armee ihn mit Jubelgeschrei.
    »Unser junger Freund macht ein grimmiges Gesicht«, bemerkte Lachios und sah der Ehrengarde nach, die auf den westlichen Horizont zuritt.
    »Überrascht dich das?« Philipp hob die Hand und winkte, obwohl Deucalion vermutlich schon zu weit weg war, um es zu sehen. »Er wird bald seinen Vater begraben und König der Eordioten werden. Er ist nicht gerade zu beneiden.«
    Lachios lachte kurz auf. »Nicht das, was ihn erwartet, bedrückt seine Seele, sondern das, was er zurückläßt. Philipp, weißt du denn nicht, daß dieser Junge lieber Hauptmann in deiner Reiterei wäre als König von Persien?«
    »Gut. Dann hält er vielleicht seine Edelleute davon ab, sich auf

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