Der Makedonier
einmal Philipp tot und die Versammlung seinem Willen unterworfen, würde er den Athenern schon zeigen, wie töricht sie gewesen waren, ihn zu unterschätzen. Er würde ihnen im Norden die Hölle so heiß machen, daß sie es nie mehr wagen würden, zurückzukehren.
Doch im Augenblick wollte er nichts anderes, als auf trockenes, festes Land zu gelangen und nie mehr spüren zu müssen, wie ihm die Eingeweide nach oben stiegen. Wenigstens dafür war Makedonien gut.
»Schon übermorgen wirst du hören, wie man dich in Aigai zum König ausruft.«
Arrhidaios erschrak, weil die Stimme so nah geklungen hatte, und als er sich umdrehte, sah er, daß Mantios, dem Namen nach sein Adjutant, in Wirklichkeit aber der Befehlshaber des Feldzugs, direkt neben ihm stand.
»Ich wäre gern dabei, um es zu sehen«, fuhr Mantios fort, und in seinem Lächeln spiegelte sich eine fast schon mitleidige Verachtung.
»Aber du wirst doch dabeisein.«
Arrhidaios, in dem plötzlich die Panik hochstieg, hob wie in einer flehenden Geste die Hand und ließ sie dannwieder sinken.
»Leider nein.« Der Athener schüttelte noch immer lächelnd den Kopf. »Es wäre unklug, schließlich willst du doch nicht vor deinen Untertanen als Vasall eines fremden Staates erscheinen.«
»Aber man wird doch nicht von mir erwarten, daß ich Aigai allein einnehme«, erwiderte Arrhidaios erregt. Es war merkwürdig, aber genau in diesem Augenblick merkte er, daß seine Übelkeit verflogen war.
»Natürlich nicht, und du wirst auch nicht allein sein. Der Söldnertrupp wird dich begleiten, zusammen mit deinen Makedoniern. Es werden auch ein paar Athener dabeisein, aber du mußt verstehen, daß wir dir zuliebe nicht zu deutlich in Erscheinung treten dürfen.«
Mantios hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Küstenlinie, als erwartete er, dort etwas zu sehen.
»Und natürlich«, fuhr er dann fort, »sollte es zum Äußersten kommen, bin ich mit meinen Schiffen und meinen Soldaten in Methone, kaum eine Tagesreise entfernt. Aber soweit wird es gar nicht kommen.«
»Bist du dir da so sicher?«
»Dein Bruder Philipp zieht Männer ein, um die Armee wieder aufzubauen, die mit König Perdikkas untergegangen ist. So etwas führt zwangsläufig zu Unzufriedenheit. Außerdem ist Aigai die alte Hauptstadt, und die alte Aristokratie dort leidet unter dem Ansehensverlust. Sie wird zu dir überlaufen.«
»Und natürlich wissen sie auch, daß ich von Athen unterstützt werde.«
»Natürlich.«
»Und was ist mit dieser Armee, die Philipp da aufbaut? Wenn du glaubst, daß er nicht kämpfen wird, täuschst du dich in ihm.«
Mantios tat die Drohung mit einem Achselzucken ab.
»Aus Bauernjungen macht man nicht über Nacht Soldaten«, erwiderte er mit einer Gelassenheit, die seine Verachtung für die ländlichen Makedonier verriet. »Ich vermute, diese Armee ist kaum mehr als ein Pöbelhaufen. Und du hast einen Trupp kampferprobter Männer.«
»Söldner. Einige Hundert. Der Rest ist nichts wert.«
»Und Reiterei.«
»An Reiterei wird es Philipp nicht fehlen.«
»Bevor Philipp auch nur erfährt, daß du gelandet bist, hast du schon Aigai und den Großteil der südlichen Ebene in deiner Gewalt. Die Makedonier haben im Augenblick keine Lust auf einen Bürgerkrieg. Sie werden ihn im Stich lassen, wenn sie erst erkannt haben, wie stark du bist. Glaub mir, er wird sich glücklich schätzen, wenn er mit dem Leben davonkommt.«
Doch da blitzte in Arrhidaios die Erinnerung an ein Erlebnis in der Kindheit auf, als er und Philipp mit Faßdauben in den Stallungen des Palasts Krieg gespielt hatten. Wie alt waren sie damals gewesen? Höchstens sieben oder acht. Arrhidaios hatte mucksmäuschenstill hinter einem leeren Ölfaß gelauert und gehofft, Philipp zu überrumpeln, wenn der die einzige Leiter vom Heuboden herunterkletterte. Doch Philipp hatte ihn durch die Ritzen zwischen den Dielen des Heubodens entdeckt, war gesprungen – ein achtjähriger Junge wagte einen Sprung aus fünfzehn Ellen Höhe – und direkt hinter Arrhidaios gelandet. Arrhidaios wußte noch sehr gut, wie überrascht er war, als er Philipps Daube schmerzhaft in seinem Rücken spürte. Du bist nicht gerissen, hatte Philipp gesagt. Aber ich.
Wenigstens ein schönes Pferd hatten die Athener Arrhidaios gegeben, einen weißen Hengst. Er war nicht so groß wie ein makedonisches Pferd, aber dennoch eindrucksvoll – eines Königs würdig. Mit seiner Armee war er weniger zufrieden.
Die Kerntruppe bestand aus
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