Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
Vom Netzwerk:
sechs Kompanien korinthischer und thebanischer Söldner unter dem Oberbefehl eines gewissen Timoleon, eines zynischen Mannes, der jede Unterhaltung dazu mißbrauchte, seine Narben herzuzeigen und zu erklären, wie er jede einzelne erworben hatte. Demosthenes hatte ihn angeheuert und ihm das Doppelte des üblichen Solds angeboten, den er nach der E roberung Pellas aus der makedonischen Schatztruhe erhalten sollte, und Demosthenes verbürgte sich auch für seine Fähigkeiten in der Schlacht. Aber Söldner kämpfen für Geld, und nur ein Narr, das rief Arrhidaios sich ins Gedächtnis, glaubt, daß ihre Treue sich noch auf anderes erstreckt.
    Etwa hundert weitere Männer waren makedonische Freiwillige – Exilanten wie er selbst. Und wie Arrhidaios wußten auch sie, daß sie im Fall einer Niederlage keine Gnade erwarten durften. Wenigstens in dieser Hinsicht waren sie verläßlich, aber im großen und ganzen erweckten sie noch weniger Zuversicht als Timoleon und seine Söldner.
    Einige von ihnen waren gewöhnliche Verbrecher, Mörder und Diebe, aber die meisten waren einfach Unzufriedene: jüngere Söhne aus der Aristokratie, die kein Erbe zu erwarten hatten und mit ihren Familien im Streit lagen; geborene Aufrührer, die sich gegen jede Herrschaft aufgelehnt hätten; gewöhnliche Abenteurer, die nur auf Plünderung aus waren oder sich rächen wollten, ohne eigentlich zu wissen, an wem oder wofür. Und einige von ihnen schienen wirklich halb wahnsinnig zu sein.
    So kam es zu endlosen Streitereien; sie waren wie Frauen. Seit knapp einem Monat war Arrhidaios beständig in der Gesellschaft dieser Männer, und in dieser Zeit waren drei von ihnen getötet worden. Der eine war von einem eifersüchtigen Liebhaber erstochen worden, ein anderer wurde während eines Streits beim Glücksspiel mit einem Hocker erschlagen, und noch an dem Morgen, als sie Athen verließen, fand man den dritten an der Kasernenwand lehnend, erdrosselt mit einer Bogensehne, die so fest um seinen Hals zugezogen war, daß man, als man sie entfernte, getrocknetes Blut an ihr fand. Arrhidaios vermutete, daß der Mörder allseits bekannt war – bestimmt war er auch zu dieser Stunde noch unter ihnen –, aber aus Gründen, die so rätselhaft waren wie sein Ende, war derTote nicht sehr beliebt gewesen, und keiner schien daran interessiert zu sein, den Täter der Gerechtigkeit zu übergeben.
    Und wenn sie nicht stritten, dann prahlten sie, was sie alles tun würden, was für einen Spaß sie haben und wie viele alte Rechnungen sie begleichen würden, wenn sie erst einmal wieder in der Heimat wären. Heimat: Für sie schien dieses Wort nichts anderes zu bedeuten als Ort und Gelegenheit für eine böswillige und scheinbar endlose Ausschweifung. Jeder von ihnen erwartete von einem dankbaren König, ihrem alten Waffengefährten, mit Reichtum und Ehren überschüttet zu werden, so daß es auch in zehn Makedonien nicht genug Land und Gold gäbe, um sie zufriedenzustellen. Was für einen erlesenen Kreis von Höflingen würden sie doch abgeben. Insgeheim hatte Arrhidaios bereits beschlossen, sollte es zum Kampf kommen, seine hochverehrten Landsleute in die vorderste Reihe zu stellen und darauf zu warten, daß Philipp seine Kräfte damit verschliß, sie zu töten. Und was die Überlebenden anging, so würde er, war seine Macht erst einmal gefestigt, schon einen Vorwand finden, um sie alle zum Tode zu verurteilen. Und zweifellos würde das Volk, nach ein oder zwei Monaten des Leidens unter ihren Greueltaten, ihm sogar dafür dankbar sein, daß er diese Räuberbande aus dem Weg schaffte. Vielleicht würde das sogar der Grundstock werden für die Beliebtheit, die ein König brauchte, wenn er überleben wollte.
    Philipp, so versicherten ihm die Athener, wurde bereits von vielen gehaßt.
    Arrhidaios spürte, wie sein Magen sich schmerzhaft zusammenzog, und er mußte sich eingestehen, daß es ein Fehler gewesen war, das Frühstück auszulassen. Er war zu aufgeregt gewesen, um zu essen: schließlich würde er, wenn alles gutging, am Ende dieses Tages in den alten Königspalast, den wahren Herrschersitz Makedoniens, einziehen, als amtierender, wenn auch noch nicht gewählter König –, aber er hätte sich trotzdem zwingen sollen, wenigstens ein paar Löffel Hirsebrei zu essen. Denn jetzt, auf seinem wunderbaren Pferd, an der Spitze einer Armee und nur noch ein oder zwei Stunden von seinem mühelosen Triumph über Aigai entfernt, spürte er, daß ihm ein wenig schwindlig wurde.

Weitere Kostenlose Bücher