Der Makedonier
die Seite der Illyrer zu schlagen, wenn Bardylis Lynkestis überrennt.«
»Ist das alles, was du von ihm verlangt hast?«
»Hätte ich mehr verlangt, hätte ich ihm damit wahrscheinlich sein Todesurteil ausgeschrieben. Wenn der König noch ein halber Knabe ist, glauben seine Edelleute, daß sie ihm nur zu gehorchen brauchen, wenn es ihnen paßt. Und vielleicht paßt es ihnen nicht, sich mit uns zusammenzutun anstatt mit den Illyrern, vor allem da es doch im Augenblick so aussehen muß, als wären wir die Schwächeren. Aber vielleicht kann man sie dazu bringen, abzuwarten, bis der Ausgang offener wird. Keine Angst, Deucalion wird im richtigen Augenblick an unserer Seite stehen.«
Philipp wandte sich Lachios zu und zeigte ihm ein dünnes Lächeln, ein Lächeln, das die unerschütterliche Zuversicht eines Mannes ausdrückte, der es sich nicht leisten kann, sich zu irren.
»Ich habe noch Briefe zu schreiben«, sagte er, vielleicht ein wenig zu unbekümmert. »Falls mich jemand braucht ich bin in meinem Zelt.«
Doch als er dann, zum Zeichen an den Wachposten, daß er nicht gestört werden wolle, die Zeltbahnen hinter sich zugezogen hatte, blieb sein Federkasten geschlossen. Philipp saß auf der Kante seiner Pritsche und kämpfte mit den Tränen.
In den Monaten seit dem Tod seiner Frau hatte er sich mit Arbeit überhäuft und sich kaum Gefühle gestattet. Glaukon hatte gesagt, er habe noch nicht gelernt, die Welt mit den Augen eines Königs zu sehen, aber er hatte es versucht. Er hatte sich eine eisige Leidenschaftslosigkeit anerzogen, hatte den Menschen hinter dem Herrscher verschwinden lassen, weil er hoffte, es wäre leichter für ihn, der König von Makedonien zu sein als einfach nur Philipp, der sich in der Welt so verloren vorkam.
Aber Deucalions Abreise hatte einen merkwürdigen Einfluß auf ihn. Plötzlich war es, als würde er wieder neben Philas Bett knien und ihr Lügen über ihr totgeborenes Kind zuflüstern, für das sie bereitwillig ihr Leben hingegeben hatte. Er konnte ihre kalten Finger in seiner Hand beinahe spüren. Frau und Sohn hatten auf demselben Scheiterhaufen gelegen und waren gemeinsam den läuternden Flammen übergeben worden.
Auch Deucalion hatte sie nicht vergessen. Von diesem Tag an hatten sie ihren Namen nie wieder ausgesprochen, doch sie beide erinnerten sich an sie. Es war ein Band zwischen ihnen.
Aber jetzt war dieses Band zerrissen, und Philipp wußte, daß er vollkommen allein war.
Gewöhn dich besser daran, dachte er. Welcher König ist nicht allein?
Es war fast schon Mittag, als Stimmen vor seinem Zelt ihn aus seinen Gedanken rissen. »… Also deswegen wird er sich gerne stören lassen«, hörte er Korous rufen.
Philipp trat ins Sonnenlicht hinaus, das ihm überraschend grell in die Augen stach.
»Was ist los?«
»Ein Reiter…« Korous deutete wild gestikulierend über die Schulter, als würde jemand direkt hinter ihm stehen. Aber da war niemand. »Aus dem Süden, Philipp. Die Athener sind mit einer Streitmacht in Methone gelandet.«
39
IN DER NACHT zuvor hatte es heftig geregnet, und auf den Decks der Athener Trieren stand noch das Wasser. Arrhidaios war während der ganzen Fahrt entsetzlich seekrank gewesen, und die schwere, feuchtwarme Luft besserte seine Lage auch nicht gerade. Er stand im Bug des Führungsschiffes und sah, das Herz voller Groll und Hoffnungslosigkeit, die Küstenlinie auf und ab schwingen wie ein Tuch, das im Wind flattert.
»Makedonien«, dachte er. »Besetzt von den Athenern, aber dennoch Makedonien.« Er wunderte sich ein wenig, daß der Anblick seiner Heimat ihn nicht rührte. Im Gegenteil, er erregte höchstens einen schwachen Ekel in ihm, nicht unähnlich der Übelkeit, die in seiner Kehle hochgestiegen war wie der Gestank verfaulenden Fleisches. »Makedonien.«
Seine körperlichen Beschwerden waren aber nicht der einzige Grund für seine schlechte Laune. Dazu kam, daß er begriffen hatte, wie hilflos er in Wirklichkeit war. Demosthenes und seine Partei mochten zwar bereit sein, ihm auf den makedonischen Thron zu helfen, aber sie hatten nicht die Absicht, in ihm etwas anderes zu sehen als ihr Werkzeug. Sie verfolgten ihre eigenen dunklen Ziele, und er diente dabei nur als glaubwürdige Ausrede für dieses typische Beispiel nackter Athener Aggression. Man hatte ihn nicht einmal bei der Planung des Feldzugs zu Rategezogen.
Aber die Athener würden ihren Fehler noch früh genug einsehen. War er erst einmal in Pella an der Macht, war erst
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