Der Makedonier
Klitos nicht ans Warten gewöhnt war, dann war er es auch nicht gewöhnt, sich beherrschen zu müssen, und Philipp war neugierig, wieviel Unverschämtheit sich dieser Mann gefallen ließe. Das würde ihm einen Hinweis darauf liefern, wieviel Angst Klitos davor hatte, mit einem Mißerfolg nach Hause zurückzukehren, und das wiederum würde Aufschluß über die wirkliche Lage in Lynkestis geben.
Klitos’ Gesicht verdüsterte sich, und seine Kiefer mahlten, aber er sagte nichts. Er versuchte sogar so zu tun, als hätte er es gar nicht gehört. Offensichtlich war Menelaos wirklich in großen Schwierigkeiten.
»Mein Bruder Perdikkas war sehr enttäuscht über König Menelaos’ Beschluß, ein Bündnis mit den Illyrern einzugehen.« Philipp ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich, ohne Klitos den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches anzubieten. »Das war ein Bruch der Treue, die er dem königlichen Haus von Makedonien schuldig ist, und schlimmer noch, es war ein Fehler.«
Es war bezeichnend, daß Klitos beide Behauptungen unwidersprochen ließ. Er machte nur ein verlegenes Gesicht, als wären die Vergehen, von denen Philipp sprach, seine eigenen und als müßte er nun dafür Rechenschaft ablegen.
»Ich vermute, mein Onkel hat dir eine Botschaft für mich anvertraut.«
Es war offensichtlich eine große Erleichterung für den Botschafter des Königs von Lynkestis, diese Worte zu hören, denn er straffte die Schultern, als wäre ihm einegroße Last abgenommen worden. Jetzt konnte er es endlich wagen zu sprechen.
»König Menelaos erinnert sich noch mit Freuden daran, wie einst Prinz Philipp, verletzt und auf der Flucht, in seinem Reich Schutz suchte«, begann Klitos, und man merkte, daß er etwas aufsagte, das er nur mit Mühe auswendig gelernt hatte. »Damals wurde er von Feinden bedrängt, und der Herrscher der Lynkestis gewährte dem Kind seiner Schwester gerne Zuflucht. Und jetzt, da Makedonien wieder einmal zerrissen und wie von wilden Hunden gehetzt ist, möchte König Menelaos dir seinen Schutz anbieten, nicht wie ein König einem anderen ein Bündnis vorschlägt, sondern wie ein Onkel, der bei seinen verwaisten Neffen die Vaterstelle einnimmt…«
Es kam noch mehr, alles im selben Stil. Philipp hörte gelassen zu und gestattete sich nicht einmal ein Lächeln. Man konnte nicht feststellen, ob Menelaos diesen hanebüchenen Unsinn wirklich ernst nahm oder hoffte, Philipp würde ihn glauben, oder ob er einfach nur versuchte, seine Ehre zu retten.
Der Kern der Aussage war natürlich, daß Menelaos bereit war, den Vertrag mit den Illyrern zu kündigen und mit Philipp ein Angriffsbündnis zu schließen. Sie würden dann Bardylis angreifen und ihn aus Nordmakedonien vertreiben. Der Plan würde Philipp nichts einbringen, denn auch falls sie siegten, würde Menelaos immer noch ein unabhängiger Herrscher sein, der bereits jetzt dem König in Pella nahezu ebenbürtig war, Makedonien jedoch würde im Süden und im Osten schutzlos dastehen. Aber von Philipp wurde erwartet, daß er über all dies zugunsten der Familienbande hinwegsah.
Schließlich hatte Klitos seine Rede beendet. Er hob ein wenig den Kopf, als erwartete er unverzüglich eine zustimmende Antwort.
»Das ist eine sehr ernste Angelegenheit«, sagte Philippmit feierlicher Miene. Er wollte den Eindruck erwecken, als müßte er sich beherrschen, um den Mann nicht vor lauter Dankbarkeit zu umarmen. »In Dingen des Krieges und des Friedens muß ich mich mit meinem Rat besprechen. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du noch ein wenig Geduld aufbringen könntest.«
Klitos verbeugte sich höflich, Philipp erwiderte die Verbeugung, und damit war das Gespräch beendet.
Tags darauf brach Philipp zu einer Rundreise zu den westlichen Garnisonen auf. Dem lynkestischen Botschafter schrieb er einen Brief, den dieser erst erhalten sollte, wenn der König Pella bereits verlassen hatte, und darin kündigte er an, er werde bei seiner Rückkehr eine Antwort für Menelaos haben. Das allerdings könne sich noch einen Monat hinziehen.
»In einem Monat ist das Wetter nicht mehr gut genug für einen Feldzug«, bemerkte Lachios. Der Morgenhimmel war noch perlgrau, als eine Ehrengarde von fünfzig Mann die Stadt durch das Westtor verließ. Er und Korous, die beide ein wenig größer waren als ihr König, warfen sich hinter seinem Rücken Blicke zu.
»Genau.« Philipp lächelte in sich hinein. »Das erspart mir die Peinlichkeit einer offenen Weigerung.«
Alle drei hatten die
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