Der Makedonier
Berichte über die Kriegsvorbereitungen in Lynkestis gelesen.
»Dann willst du Menelaos also seinem Schicksal überlassen?«
Philipp nickte, und eine Zeitlang war das die einzige Antwort, die seine Vertrauten von ihm erhielten.
»Ich habe keine andere Wahl«, sagte er schließlich. »Außer vielleicht, mit ihm unterzugehen.«
»Und das ist etwas, das er für dich nicht tun würde«, bemerkte Korous mit grimmiger Befriedigung.
»Und das sollte er auch nicht.« Mit einem Kopfschütteln schien Philipp einen Zweifel verscheuchen zu wollen oder vielleicht auch nur eine Versuchung. »Ein Volk ist ni cht das Eigentum eines Königs, das er nach Belieben vergeuden kann. Sollen Männer kämpfen und sterben, nur weil ihr Herrscher nach persönlichem Gutdünken Freunde und Feinde wechselt? Würde ein vernünftiger Mann einem König die Treue schenken, der so etwas von ihm verlangt? Der König, der seine persönlichen Gefühle über Wohl und Wehe seines Volkes entscheiden läßt, taugt nicht zum Leben, geschweige denn zum Herrschen.«
»Aber genau das tun die meisten Könige«, entgegnete Lachios. »Genau das haben sie immer getan. Und das wird sogar von ihnen erwartet.«
Philipp lachte und trieb sein Pferd an, so daß die beiden anderen ihm nachreiten mußten.
»Vielleicht ist das der Grund, warum es so viel Streit gibt auf der Welt«, sagte er.
Pleuratos in seinen Gemächern im Palast seines Großvaters war ebenfalls mit einem Streit beschäftigt, allerdings mit einem sehr persönlichen: In seinen Gedanken war er seinem Großvater bereits auf den Thron der Illyrer nachgefolgt. Er haßte Bardylis, den er für sich immer nur den »alten Bardylis« nannte, als würde ihm sein hohes Alter den einzigen Titel verleihen, der ihm zustand – als könnte Pleuratos so die Blutsbande zwischen ihnen zerschneiden. Er haßte ihn, weil er im Weg stand, weil er zur Geduld mahnte, weil er die Unterwerfung unter seinen Willen verlangte und weil er ihm sowohl den Titel wie die absolute und unangreifbare Macht des Königs verweigerte. Er haßte seinen Großvater, weil dieser nicht den Anstand hatte, nun einfach zu sterben.
Und deshalb hatte Pleuratos beschlossen, ihn noch zu seinen Lebzeiten zu vernichten. Stück um Stück würde er die Macht an sich reißen, die dem alten Mann so viel bedeutete, ja das einzige war, was ihn noch am Leben hielt. Wenn Pleuratos schon nicht dank der unbestrittenen Macht seines Wortes herrschen konnte, dann würde erheimlich herrschen. Aber am Ende würde er herrschen und das würde seine Rache sein.
Und das Werkzeug, das er dazu ausersehen hatte, war ein gewisser Xuthos, ein Truppenführer von mäßiger Befähigung, den Bardylis in eine Garnison am Zugang zum Pisoderipaß versetzt hatte, um ihn aus dem Weg zu haben. Xuthos stammte aus einer berühmten Familie und fühlte sich deshalb sehr gedemütigt. Pleuratos hatte ihm eingeredet, daß ihm unter seiner Herrschaft eine große Zukunft bevorstünde.
»Du wirst für einen Zwischenfall sorgen«, schrieb ihm Pleuratos. »Such dir ein kleines und unbedeutendes unserer Dörfer an der Grenze zu Lynkestis aus, und laß es von fünfzehn oder zwanzig deiner vertrauenswürdigsten Männer überfallen. Laß die Häuser niederbrennen und alle Einwohner niedermetzeln, auch die Kinder und Frauen – vielleicht vor allem die Frauen. Deine Soldaten sollen sich einmal richtig austoben, denn ich will, daß diese Tat, für die man den Lynkestis die Schuld geben wird, Männerherzen vor Zorn entflammt. Wenn das erledigt ist, erwarte geduldig deine Belohnung und wisse dabei, daß ich dich nicht enttäuschen werde.«
Doch wieder einmal hatte Pleuratos einen schlechten Zeitpunkt gewählt.
»Er hat zu lange gewartet«, sagte Philipp, als er von dem Überfall erfuhr. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß Menelaos der Urheber einer solchen Torheit sein könnte, denn daß es eine Provokation war, war zu offensichtlich. »Das Wetter wird vielleicht gerade noch so lange halten, daß Pleuratos eine Stellung diesseits des Passes errichten kann, aber nicht einmal die Illyrer können ein Land erobern, in dem ihre Pferde bis zum Widerrist im Schnee versinken. Wenigstens bis zum Frühling wird Menelaos sich halten können.«
Aber der Angriff auf Lynkestis, der nun unausweichlich war, gab einer anderen Nachricht, die fast in derselben Meldetasche eintraf, zusätzliche Bedeutung. Aias, der König der Eordioten, so hieß es, lag im Sterben.
Philipp wartete bis zur Dunkelheit, bevor
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