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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Mischung aus Überraschung und Enttäuschung. Die gespenstischen Gesichter der Toten waren verschwunden, und Amyntas’ letzte Worten blieben unausgesprochen. Ich werde nie erfahren, was er mir sagen wollte, dachte Philipp dann immer. Ich werde es nie erfahren.
    Und manchmal, wenn im strahlenden Licht der Wintersonne der König von Makedonien seine Soldaten für die Schlacht mit den Illyrern drillte, die das Schicksal aller entscheiden würde, überfiel ihn unvermittelt ein entsetzliches Bedauern, als wäre sein Leben sinnlos und all seine Mühen zum Scheitern verurteilt, weil er weder wachend noch schlafend je den Satz gehört hatte, den sein Vater Amyntas nicht mehr hatte beenden können.
    »Ich werde es nie erfahren.«
    In solchen Augenblicken fühlte er sich vollkommen verlassen, wie abgeschnitten von den Göttern und den Menschen. Dies waren seine Gedanken, dies die klaffendeGrube der Verzweiflung, die sich vor ihm öffnete, während der Lauf der Dinge ihn auf die große Krise seines Lebens zutrieb.
    »Wir brauchen zehntausend Soldaten, bevor im Frühling das Tauwetter einsetzt«, sagte er seinen Offizieren, die untereinander besorgte Blicke austauschten, als befürchteten sie, die Belastung hätte ihm den Verstand geraubt.
    »Zehntausend, und keinen weniger«, wiederholte er, wie um sie zum Widerspruch herauszufordern. »Pleuratos wird mindestens so viele haben, und wir können uns keinen Sieg leisten, der uns so schwächt, daß wir ebensogut besiegt sein könnten. Nur wenn wir ihm etwa mit gleicher Stärke entgegentreten, haben wir Aussicht, unsere Verluste gering zu halten.«
    »Wie kannst du hoffen, eine solche Streitmacht aufstellen zu können?« fragte Lachios und sprach damit aus, was jeder dachte. »Kaum ein Jahr ist es her, daß König Perdikkas viertausend erstklassige Soldaten verloren hat. Unsere Werber ziehen bereits jeden Wehrfähigen aus den Dörfern ab. Wir können von Glück reden, wenn wir bis zum Frühling im ganzen Land acht-oder neuntausend Männer unter Waffen haben. Und wir dürfen doch unsere Garnisonen nicht ohne Besatzung lassen, Philipp.«
    »Ich werde zehntausend Mann haben, wenn ich nach Norden marschiere, und wenn ich dazu jeden einzelnen Soldaten in Makedonien einziehen muß.«
    »Wenn du verlierst, wird Makedonien schutzlos sein.«
    »Wenn ich verliere, wird es kein Makedonien mehr geben, das man noch schützen könnte.«
    Dagegen konnte niemand etwas sagen, und deshalb quollen die Lager bald über von Einberufenen, fast alles Bauernjungen, die in ihrem Leben noch nie Schild oder Schwert in der Hand gehabt hatten. Diese wurden von Philipp und seinen Offizieren gedrillt, bis ihnen die Knieweich wurden, bis sie ihre Waffen besser kannten als die Gesichter ihrer Frauen und Mütter, bis sie vergessen hatten, daß sie je etwas anderes gewesen waren als Soldaten.
    In den ersten Wochen jammerten sie über die blauen Flecken an ihren Schienbeinen, die sie sich mit den Rändern ihrer Schilde schlugen, und beklagten sich endlos über den Drill.
    »Haltet eure Schilde höher«, sagten ihnen dann die Veteranen. »Ihr werdet merken, daß das weniger lästig ist als ein illyrischer Speer in euren Eingeweiden.«
    »Wie kann man denn so eingezwängt kämpfen, wenn einem der Nebenmann fast den Ellbogen ins Gesicht stößt? Der Onkel meiner Mutter hat in seinen Schlachten für den alten König Amyntas genug Beute gemacht, um sich vierzig Schafe zu kaufen – damals brauchte ein Soldat nichts anderes als Mut.«
    »Willst du ein toter Held sein? Dieser König hält seine Männer am Leben, und er gewinnt. Ich würde dir raten, tu, was er von dir verlangt. Ich diene seit Aiane unter unserem König Philipp, und glaub mir, er weiß, was er tut. Das da drüben ist er übrigens.«
    »Das ist der König?«
    So erwarben sie zusammen mit dem Wissen, wie man eine Lanze richtig hält und die Beinschützer so ausstopft, daß sie nicht scheuern, die Überzeugung, daß ihr König, der in einem alten braunen Umhang mitten unter ihnen einherging und sich nicht zu stolz war, einfaches Soldatenbier zu trinken, der Liebling von Ares, der erste Sohn des Kriegsgottes war. Er wurde nie müde, hatte nie Angst, und er irrte sich nie. Wer in der Schlacht in seiner Nähe stehen durfte, schätzte sich glücklich, denn die Reihe, in der Philipp kämpfte, konnte nicht durchbrochen werden. Er war allen ein Vertrauter und zugleich Gegenstand ehrfürchtigster Scheu, und er erweckte in seinen Männern vollkommene Zuversicht. Die

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