Der Makedonier
unerfahrenen Rekruten lernten sie von den Veteranen vergangener Feldzüge, die Geschichten erzählten von den Schlachten, die sie geschlagen, und den Siegen, die sie errungen hatten, und die dabei kaum merkten, daß sie einen Mythos schufen. Ihr König war ihnen zur Mauer geworden, die sie vor allem Unheil bewahrte.
Ob Philipp an diesen Mythos glaubte, konnte keiner sagen, denn seine Zweifel und seine Träume lagen verborgen in den Tiefen seiner Seele. Es lag in seinem Wesen, daß er viele Freunde, aber keine Vertrauten hatte. Sein Vater hatte in seinem letzten Atemzug von der Bürde des Königs gesprochen, und was war denn die Bürde des Königs, wenn nicht diese Einsamkeit.
Ebenfalls entsprach es seinem Wesen, daß er, als er vom neuen König der Eordioten einen Brief erhielt, diesen einen halben Tag mit sich herumtrug, ohne ihn anzusehen.
»Er ist von Deucalion«, sagte er zu Korous, als die beiden, den Rücken an das Rad eines Proviantkarrens gelehnt, auf der Erde saßen und auf das Abendessen warteten.
»Was steht darin?«
Philipp überflog kurz die Rolle und steckte sie dann in seine Tasche zurück. »Hier steht, daß er am Leben und wohlauf ist und im Frühling bei uns sein wird.«
»Wie gefällt es ihm, König zu sein?«
»Darüber schreibt er nichts.«
Erst als er in dieser Nacht allein in seinem Zelt beim flackernden Schein einer Öllampe saß, zog er Deucalions Brief wieder hervor.
»Mein Thron scheint gesichert«, schrieb der König der Eordioten. »Ich verdanke das Deinem Onkel Menelaos ebenso wie Dir, denn meine Männer scheinen aus seinen Erfahrungen etwas gelernt zu haben, und sie wissen jetzt, daß sie, wenn sie vermeiden wollen, von den Illyrern überrannt zu werden, einen König brauchen, der sich der uneingeschränkten Unterstützung aller sicher sein kann -und ich habe das Glück, der einzige zu sein, der dafür in Frage kommt.
Hinter mir sehen sie natürlich Dich. Wir mögen ein Volk von Barbaren sein, aber auch wir hören, was in der großen Welt geschieht. So haben auch die Nachrichten von Deinen Siegen ihren Weg zu uns gefunden, und sie haben Erinnerungen wachgerufen an die Niederlage meines Vaters gegen einen gewissen König der Elimioten. Daß jetzt die Athener und die Paionier ein ähnliches Schicksal erlitten haben, ist wohltuend für den verletzten Stolz meiner Edelleute. Sie betrachten Dich mit einer Mischung aus Angst und einem gewissen Stolz, denn wenn Du schon kein Eordiote bist, sind wir doch Makedonier, und so sind Deine Triumphe in gewisser Weise auch die unseren.
Im Augenblick fühle ich mich deshalb vor Anfeindungen sicher, und ich bin eben dabei, meinen Männern begreiflich zu machen, daß die Eordioten ein Interesse am Ausgang dieser bevorstehenden großen Schlacht haben, daß wir uns für eine Seite entscheiden müssen, solange noch Zeit dafür ist, daß es einfach nicht in unserer Macht steht, unbeteiligte Beobachter zu bleiben. Das ist weniger schwierig, als du Dir vielleicht vorstellst, denn meine Edelleute sind zumindest keine Narren und sehnen sich sehr danach, auf der Gewinnerseite zu stehen. Darüber hinaus haben sie König Menelaos’ Beispiel vor Augen und wissen, daß die Illyrer als Verbündete nicht weniger gefährlich sind denn als Feinde. Ich habe mich noch nicht offen für Makedonien ausgesprochen, denn es ist besser, wenn meine Edelleute von selbst zu den richtigen Schlüssen kommen und es so aussieht, als gäbe es nur eine sinnvolle Entscheidung. Ich mache mir jedoch keine Sorgen wegen des Ausgangs.
Deshalb werde ich, wenn der Frühling kommt, in der Lage sein, Dir etwa tausend Fußsoldaten und achtzig bis hundert Reiter anzubieten. Ich unterweise sie in der Taktik, die ich bei Dir gelernt habe, und deshalb werden sie, das hoffe ich, uns keine allzu große Schande bereiten.
Sei guten Mutes, Philipp, König aller Makedonier, und wisse, daß Deine Feinde auch meine sind. Dein Freund und treuer Diener…«
Als König von Makedonien freute sich Philipp über diesen Brief. Die Mühe, die er sich mit diesem Jungen, seiner ehemaligen Geisel, gegeben hatte, wurde nun reich belohnt. Aber in rein menschlicher Hinsicht deutete er Deucalions Treueschwur beinahe als Vorwurf.
Deucalions Einschätzung der Lage war im großen und ganzen richtig. Die Eordioten hatten keine andere Wahl, als sich auf die eine oder die andere Seite zu schlagen, und von den Makedonien! hatten sie mehr zu erhoffen als von den Illyrern. Philipp wußte aber, daß die Bewertungen
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