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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Doch sie wußte, daß Sinn und Zweck dieser Übungen die Vernichtung des einzigen Mannes war, den sie je geliebt hatte.
    »Ist es nur der Wind, der dir die Tränen in die Augen treibt?«
    Daß die Stimme so nah klang, erschreckte sie – nichts anderes. Sie drehte sich um und sah Bardylis, den König der Illyrer, nur eine Armlänge entfernt stehen.
    »Du solltest die vielen Stufen nicht heraufsteigen, Urgroßvater«, sagte sie. »Es müssen doch mindestens…«
    »Es sind siebenundvierzig. Und manchmal muß man tun, was man nicht tun sollte, wenn auch nur, um zu beweisen, daß man noch am Leben ist.« Er lächelte, so daß sein altes, zerfurchtes Gesicht noch mehr Falten bekam, und sah hinunter auf die Ebene, wo Männer, die ihm die Treue geschworen hatten, den Schnee unter den Hufen ihrer Pferde aufsteigen ließen. »Interessierst du dich seit neuestem für militärische Dinge?«
    »Nein.«
    »Wirklich nicht? Na, vielleicht ist dann unter meinen Edelleuten einer, auf den du ein Auge geworfen hast.«
    Sie starrte ihn verblüfft an, schien dann aber plötzlich zu begreifen und senkte den Blick.
    »Ich weiß nur von einem einzigen Mal, daß du hier hochgekommen bist und den Soldaten beim Herumtollen zugesehen hast«, fuhr er fort, und in seinen Augen blitzte das Vergnügen, das es den Alten manchmal bereitet, die Jungen zu quälen, »und das war, als Philipp bei uns war. Denkst du jetzt an ihn?«
    »Ich denke dauernd an ihn«, erwiderte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die Bardylis seine Einmischung bedauern ließ, weil sie ihn daran erinnerte, daß ihr Herz eins der wenigen Dinge in dieser Welt war, die er nicht beherrschte.
    »Dein Vater hebt in jedem Winkel des Reiches Soldaten aus. Bis zum Frühling wird er eine Armee von weit über zehntausend Mann beisammen haben. Und das Komische ist, daß er nicht die geringste Ahnung hat, was du für diesen König von Makedonien, den er vernichten will, empfindest.«
    »Würde es etwas ändern?«
    »Nein.« Der alte König schüttelte den Kopf. »Nein, denn die Verletzung seines Stolzes geht tiefer. Wenn er es wüßte, würde er Philipp nur um so mehr hassen. Bereits im Sommer wird Gras auf dem Grab von einem der beiden wachsen. Um deines Seelenfriedens willen bin ich froh, daß es nicht in deiner Macht steht, zu entscheiden, über welchem.«
    »Glaubst du, daß Philipp vernichtet wird, Urgroßvater?«
    »Ist es denn wichtig, was ich glaube, Kind?« Er lächelte freudlos, denn er wußte, daß sie verstand, was er dachte. »Aber vielleicht ist es von etwas größerer Bedeutung, was Philipp glaubt.«

43
     
     
    DEN GANZEN WINTER über wurde Philipp in seinen Nächten von einem Traum heimgesucht. Er war wieder ein Junge, und man hatte ihn ans Totenbett seines Vaters gerufen: Er betritt das Zimmer und findet das ganze Haus der Argeaden dort versammelt, sogar Arrhidaios, den Körper übersät mit Speerwunden. Irgendwie hat sein Bruder es geschafft, diesmal vor ihm da zu sein.
    »Da ist ja Philipp, und wie immer zu spät«, sagt seine Mutter, die Tunika rot vom Blut, das aus dem Schnitt in ihrer Kehle tropft, und alle anderen, bis auf Pausanias, der seinen abgeschlagenen Kopf in den Händen hält, nicken zustimmend.
    »Spart eure Tränen für die Bestattung«, sagt Alexandros streng. Er ist nackt, sein Körper glänzt vom Öl, und unter seinem Brustkorb klafft die Wunde von Praxis’ Schwert; neben ihm steht Perdikkas in schlammbespritzter Rüstung, eine klaffende Wunde, die von einemillyrischen Schwerthieb rührt, verläuft quer über dem Gesicht.
    In einem Traum kann nichts überraschen, und deshalb wunderte sich Philipp auch gar nicht, daß all die versammelten Mitglieder seiner Familie tot waren. Schließlich waren die meisten von ihnen schon seit Jahren tot, und der Traum, der keine Erinnerung war, sondern ein Traum, existierte ja nicht in der wirklichen Vergangenheit, sondern in einer Vergangenheit, die gleichzeitig Gegenwart ist. Deshalb nahm Philipp, der Junge im Traum, das alles als natürlich hin, während Philipp der Träumer, der hilflose Zuschauer, es mit Entsetzen betrachtete.
    Nur der alte König lebte noch. Sein Blick bleibt an Philipp hängen, und mit einer kleinen, schwachen Geste winkt er ihn zu sich. Amyntas’ Lippen bewegen sich lautlos, doch sie formen die Worte: »Die Bürde des Königs…«
    In diesem Augenblick wachte Philipp immer auf. In diesen ersten Sekunden, wenn ihm bewußt wurde, daß er nur wieder geträumt hatte, erlebte er eine eigenartige

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