Der Makedonier
sieben Jahren tot, und du wirst von den Illyrern belagert«, sagte er in schärferem Ton, als er vermutlich beabsichtigt hatte. »Ich glaubenicht, daß du diese ganze Strecke durch einen Schneesturm geritten bist, nur um dir deinen Kummer von der Seele zu reden. Was willst du, Onkel?«
Einen Augenblick lang schien sich der König von Lynkestis unschlüssig zu sein, ob er das als Beleidigung auffassen sollte, doch dann erschien es ihm besser, den Belustigten zu spielen. Er lächelte.
»Anscheinend ist jeder ungeduldig mit mir.« Er nahm seine Trinkschale in die Hand und schien das Muster unter der Glasur zu betrachten. Dann stellte er sie wieder ab und beachtete sie nicht weiter. »Die Illyrer meinen, daß ich schon zu lange regiert habe, und wollen mich von meinem Thron verjagen – entweder das, oder mich töten, während ich darauf sitze, was ihnen gerade gelegener kommt –, und mein Neffe meint, daß ich seine wertvolle Zeit mit Familienklatsch vergeude.«
Er lächelte noch einmal und suchte dabei in Philipps Gesicht nach einer Reaktion. Doch Philipps Miene blieb unbeweglich, Menelaos gab es deshalb auf, und sein Lächeln verschwand.
»Du entwickelst dich als König sehr vielversprechend, Philipp. Du hast sehr schnell gelernt, hart zu sein.«
»Ich frage dich noch einmal, Onkel – was willst du? Und was bist du bereit herzugeben, um es zu bekommen?«
Aber Menelaos, der seine Feinde lange genug gegeneinander ausgespielt hatte, um sich ein gewisses Vertrauen in sein Verhandlungsgeschick erworben zu haben, ließ sich zu nichts drängen.
»Du hast dich zu einer Art militärischem Hexenmeister entwickelt«, sagte er und schüttelte in erstaunter Bewunderung den Kopf. »Du hast eine geschlagene, demoralisierte Armee und ein von Feinden umringtes Land geerbt, und jetzt, nach noch nicht einmal einem Jahr, hast du zwei wichtige Schlachten gewonnen und dir einen Ruf solcher Gefährlichkeit erworben, daß die Athener einen Friedensvertrag mit dir unterzeichnet haben. Ich muß dirmeine Hochachtung zugestehen. Ehrlich gesagt, ich hatte erwartet, daß du zum jetzigen Zeitpunkt bereits tot sein würdest.«
»Bist du enttäuscht?«
»Nein. Ich bin noch nicht so gefühllos geworden, daß ich mich über den Tod meines Schwestersohnes freuen würde.«
»Und außerdem brauchst du mich jetzt.«
»Und außerdem brauche ich dich jetzt.«
Menelaos atmete tief ein und stieß die Luft in einem langen Seufzen wieder aus. Es war, als hätte die Belastung der vergangenen Monate ihn nun plötzlich überwältigt.
»Kennst du Pleuratos?« fragte er.
»Ja. Ich habe ihn kennengelernt, als ich Bardylis’ Geisel war.«
»Ja, natürlich, das habe ich ganz vergessen.« Menelaos berührte geistesabwesend das rötliche Muttermal einen Fingerbreit über seinem Bart, und Philipp fiel zum erstenmal auf, wie grau die braunen Locken seines Verwandten geworden waren. »Nun, obwohl der alte König noch lebt, scheint es doch Pleuratos zu sein, der das Sagen hat. Mit Bardylis bin ich immer zurechtgekommen, aber sein Enkel ist eine härtere Nuß.«
»Das habe ich mir schon gedacht, angesichts der Tatsache, daß seine Soldaten ein Viertel deines Reichs besetzt halten.«
Philipp lächelte freudlos, und Menelaos sah aus, als hätte er den Seitenhieb gespürt.
»Im Augenblick stecken sie im Schnee fest«, sagte er. »Während des Winters sind wir sicher, aber im Frühling wird sich die Lage ändern. Wenn Pleuratos nicht zum Rückzug bewegt werden kann, wird er bis zum Sommeranfang Pisoderi besetzt haben, und ich werde dann tot oder im Exil sein. Im großen und ganzen würde ich den Tod vorziehen.«
»Glaubst du, es besteht überhaupt Aussicht, daß er sich zurückzieht?«
Menelaos schüttelte den Kopf. »Warum sollte er? Wenn er mir Lynkestis entreißen kann, habe ich nichts mehr, mit dem ich ihn bestechen könnte.«
Es war offensichtlich, daß Menelaos diese Unterhaltung nicht gerade genoß. Er hielt einen Augenblick inne und trank einen großen Schluck aus seiner Weinschale, als müßte er sich für das Folgende stärken.
»Wenn der Schnee schmilzt, wird Pleuratos kurzen Prozeß mit mir machen wollen, um dann nach Süden weitermarschieren zu können. Lynkestis wird er im Handstreich nehmen, und für sich genommen ist es ja kaum der Mühe wert, aber es ist das Tor zu Niedermakedonien. Und dich will er zerstören, nicht mich. Deshalb wird dir im Sommer ein Krieg mit den Illyrern bevorstehen – ein Krieg, den du nicht vermeiden kannst. Und
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