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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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seines jungen Schützlings mehr auf einem Gefühl der Freundschaft und Treue beruhten denn auf einer nüchternen Lagebeurteilung, die eigentlich die Entscheidung eines Königs auszeichnen sollte. Deucalion hatte sich Philipp zu seinem persönlichen Helden erkoren – Philipp hatte ja schließlich alles getan, damit diese Wahl auf ihn fiel –, und ein Held zeichnet sich dadurch aus, daß er immer siegreich bleibt. Deshalb würden die Makedonier über die Illyrer siegen. Wie konnte es denn anders sein?
    Aber was, wenn er verlor? Philipp war kein unreifer Junge mehr, der sich von einem Ruf blenden ließ, nicht einmal von seinem eigenen – von dem vielleicht sogar am allerwenigsten. In seinen Augen war ein Sieg nicht wahrscheinlicher als eine Niederlage. Und was würde geschehen, wenn er verlor? Was würde geschehen, wenn er, wie Perdikkas, einfach vernichtet wurde? Philipp wußte, wenn er unterging, würden seine Verbündeten mit ihm untergehen, und dann würde er diesen Jungen, den er wie einen jüngeren Bruder liebte, verraten haben.
    Er war sich also bewußt, daß er, zumindest in dieser einen Hinsicht, Vertrauen mißbrauchte. Daß ein solcherMißbrauch zum Alltagsgeschäft eines Königs gehörte, daß es seine Pflicht war, aus allen Werkzeugen, die ihm zur Verfügung standen, den größtmöglichen Nutzen zu ziehen, war für ihn kein Trost. Insgeheim war er entsetzt über seine eigene Skrupellosigkeit.
    Nun denn, dachte er, als er die winzige Flamme ausblies und sich zur Ruhe legte, obwohl er wußte, daß ihn auch in dieser Nacht wieder Träume quälen würden, ich vermute, ich habe gar keine andere Wahl, als zu gewinnen.
     
    Mitte des Monats des Panemos, als der Schnee noch hoch lag, sich aber bereits wärmeres Wetter ankündigte, verlegte Philipp sein Feldlager an einen Ort wenige Reitstunden von der Grenze zu Lynkestis entfernt, um gleich bei Einsetzen des Tauwetters bereit zum Abmarsch nach Norden zu sein. Das Lager war für acht- bis neuntausend Mann angelegt, da aber die Soldaten aus den entfernteren Garnisonen erst auf dem Anmarsch zum Versammlungspunkt waren, hatte Philipp nur eine kleine Truppe bei sich, als seine Späher ihm meldeten, daß eine Gruppe von etwa fünfzig Reitern von den Bergen auf das Lager zukomme.
    »Als wir sie entdeckten, waren sie nicht mehr als zwei Stunden vom Flachland entfernt, aber ihre Pferde werden nach einem solchen Ritt sehr erschöpft sein. Ich würde sagen, daß sie frühestens in drei oder vier Stunden hier sein werden.«
    »Konntest du sie erkennen?«
    »Nein, Herr, aber der Richtung nach zu urteilen, können sie nur aus Pisoderi kommen.«
    »Dann sind es wahrscheinlich Abgesandte des Königs Menelaos. Schickt eine Ehrengarde aus, um sie zu begrüßen.«
    Doch Philipps Vermutung erwies sich als nicht ganz richtig, denn König Menelaos gehörte persönlich zu der Abordnung – zusammen mit vier oder fünf Männern in der Kleidung illyrischer Edelleute. Sie erreichten das Lager eine halbe Stunde nach Einbruch der Nacht und waren alle sehr erschöpft, denn sie hatten die letzten beiden Nächte im Schnee schlafen müssen. Man versorgte sie mit warmem Essen und brachte sie in einem Zelt mit einem glühenden Kohlenbecken unter. Die Illyrer faßten es deshalb nicht als Beleidigung auf, daß der König von Makedonien sie nicht gleich in der ersten Nacht empfing. Vermutlich schliefen sie bereits seit einer Stunde, als Philipp sich zu einem vertraulichen Gespräch mit seinem Onkel traf.
    »Wer sind deine Freunde?«
    Die beiden Männer spazierten an der äußersten Verteidigungslinie des Lagers entlang, wo niemand sie hören konnte. Es ging ein schwacher, aber eisiger Wind. Trotz des vliesgefütterten Unihangs, den er eng um sich gewickelt hatte, sah Menelaos sehr elend aus.
    »Vor sechs Tagen sind sie mit Abzeichen von Unterhändlern bei uns angekommen«, sagte er, als wäre bereits diese Feststellung ein demütigendes Eingeständnis. »Ich vermute, daß sie ein Angebot für eine friedliche Einigung unterbreiten sollen.«
    »Soll das heißen, du weißt es nicht?«
    Der König der Lynkestis schüttelte den Kopf. »Sie haben deutlich gemacht, daß ihre Botschaft für dich bestimmt ist, nicht für mich. Sie wollten nichts anderes als eine sichere Durchreise durch die Gegenden, die noch meiner Herrschaft unterstehen. Aber ich hielt es für das beste mitzukommen, denn schließlich ist es mein Schicksal, über das sie mit dir reden wollen.«
    Er hielt einen Augenblick inne, um ein paar

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