Der Makedonier
Handschuhe aus der Tasche zu ziehen, und einige Sekunden lang, bis er den prüfenden Blick in den Augen seines Neffen bemerkte, ließ er es zu, daß das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung sich in seinem Gesicht zeigte.
»Ich vermute, ich hätte sie nicht hierher bringen sollen«, fuhr er dann fort. »Alles was sie hier sehen, werden sie Pleuratos berichten, aber ich…«
»Das macht nichts.« Vielleicht um seinen Onkel zu schonen, tat Philipp so, als betrachtete er den Erdwall, dessen Umriß sich gegen den schwarzgrauen Nachthimmel abzeichnete. »Ich werde sie gleich übermorgen früh wieder losschicken, nur um ihnen den Eindruck zu vermitteln, ich verheimliche etwas; was sie dann zu Hause berichten können, wird irreführend sein, denn es dauert noch mindestens fünf Tage, bis wir unsere volle Stärke auch nur annähernd erreicht haben. Was glaubst du, wie lautet ihre Botschaft?«
Menelaos’ Antwort ließ lange auf sich warten. Die beiden Könige hatten ihren Spaziergang wiederaufgenommen, und das Schweigen zwischen ihnen schien zu einem Dauerzustand geworden zu sein.
»Ich habe es aufgegeben, besonders schlau sein zu wollen«, sagte er schließlich. »Wenn sie es dir sagen und wenn du dich dazu entschließt, mich ins Vertrauen zu ziehen, dann werde ich es erfahren. Viel ändern wird das sowieso nicht, da Pleuratos kein Mann ist, dem man vertrauen kann.«
Es schien ihn zu erstaunen, als Philipp zu lachen begann.
»Wir sind doch alle keine Männer, denen man vertrauen kann, Onkel. Trotzdem lege ich großen Wert auf deine Meinung über diese Halunken aus den Bergen.«
»Sie glauben, daß sie bereits gewonnen haben. Als sie in Pisoderi waren, sind sie in meinem Palast herumstolziert, als wollten sie sich bereits ihren Teil der Beute aussuchen.«
»Wirst du mir morgen zur Seite stehen, wenn ich sie empfange? Du überblickst die Lage im Norden besser als ich.«
Menelaos nickte, sichtlich erfreut, doch bemüht, dies zu verbergen, und die beiden kehrten ins Lager zurück.
Als am nächsten Morgen Pleuratos’ Abgesandte in Philipps Zelt geführt wurden, war der König von Lynkestis bereits anwesend. Er stand neben seinem Neffen, und seiner Miene nach zu urteilen, betrachtete er allein schon seine Anwesenheit als vollkommene Rache.
Den Illyrern schien das peinlich zu sein, was Philipps Absichten entgegenkam. Es erschien ihm unklug, Verhandlungen, so wenig erfolgversprechend sie auch sein mochten, damit zu beginnen, daß er eine so deutliche Beleidigung seines Verbündeten und engen Verwandten unwidersprochen hinnahm. Daß die Abgesandten sich gekränkt fühlten, zeigte sich an der unerträglichen Überheblichkeit ihres Auftretens: Immer wieder warfen sie König Menelaos Blicke zu, als könnten sie nicht begreifen, wie er vor ihnen hatte eintreten können.
Ansonsten sahen sie wie wohlhabende Wilde aus, die ihren Reichtum mit massiven Goldohrringen und silbernen Bändern um die nackten Oberarme zur Schau stellten. Einen von ihnen, einen kräftigen, untersetzten Mann in mittleren Jahren mit einer langen, gezackten Narbe auf der Stirn, kannte Philipp noch aus seiner Zeit als Bardylis’ Geisel.
»Was führt dich denn hierher, Xophos?« fragte er den Mann, dessen Gesicht zuerst Überraschung, dann Freude und schließlich Enttäuschung darüber spiegelte, daß er erkannt worden war. Vor zehn Jahren war er noch Bardylis’ Gefolgsmann gewesen. Vielleicht war seine Treue zum Erben noch etwas fragwürdig, und es paßte ihm deshalb gar nicht, daß er von Pleuratos’ altem Feind mit so vertrauten Worten empfangen wurde. »Ich hätte geglaubt, daß du zu dieser Jahreszeit zu Hause bist und mit den anderen Kindern im Schnee Scheingefechte kämpfst.«
Xophos mußte gegen seinen Willen lachen, und dann, wohl weil er glaubte, nichts mehr zu verlieren zu haben, gestattete er sich ein breites Grinsen.
»Mein Fürst Philipp ist schon immer gern zum Angriff übergegangen«, sagte er in stark illyrisch gefärbtem Griechisch, »aber wie ich gehört habe, hast du inzwischen selbst gemerkt, daß der richtige Krieg viel vergnüglicher ist.«
»Nun, dann steht uns allen wohl ein lustiger Sommer bevor. Aber jetzt, Xophos, laß uns wissen, welche Botschaft ihr für uns habt, denn niemand gewinnt etwas, wenn dieser Besuch sich in die Länge zieht.«
Mit einem kleinen Achselzucken, als würde er die Ungeduld eines rüden Jungen abtun, drehte Xophos sich zu seinen Gefährten um. Sie wechselten flüsternd einige Worte in ihrer Sprache,
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