Der Makedonier
großen Mühen und Schmerzen, die ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieben, schaffte er es schließlich, ganz aufzustehen.
Doch dann mußte er erkennen, daß es ihm unmöglich war, auf den Rücken des Hengstes zu klettern. Er überlegte noch, was er nun tun konnte, als drei Reiter auf die Lichtung galoppiert kamen und sofort die Zügel anzogen als sie ihn sahen. Ihre Lanzen ruhten stoßbereit in ihren Händen. »Es ist ein Verbrechen, den Eber des Königs zu jagen« sagte einer von ihnen in dem abgehackten Dialekt der Bergvölker. »Ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft werden kann.«
»Der Eber war wohl eher der Ansicht, daß er mich jagt«, erwiderte Philipp und grinste über seinen eigenen Witz. Einen Augenblick lang sprach keiner, als hätten sie einen toten Punkt erreicht. »Warum bist du abgestiegen?«
Es war ein anderer Mann, der schließlich das Schweigen brach. Philipp starrte ihn nur an. Er hatte keine Ahnung, was der Kerl meinte. »Warum bist du von deinem Pferd abgestiegen? Ein Mann ist sicherer auf seinem Pferd.«
»Ja, aber das Pferd nicht«, entgegnete Philipp, als er begriffen hatte. »Außerdem hatte ich keine Lanze, nur ein Schwert.«
Sie sahen alle auf den Kadaver des Ebers hinunter. »Das sieht aus wie ein illyrisches Schwert. Ich erkenn’ das am Heft.«
»Es ist ein illyrisches Schwert.« Philipp kniff die Augen zusammen, als fühlte er sich beleidigt. »Aber ich bin Makedonier.«
»Du hast gut getroffen«, sagte der Mann nach einer Weile, ohne auf Philipps Behauptung einzugehen. »Trotzdem, Junge, du warst ein Narr, daß du es überhaupt probiert hast. Und das alles wegen eines Pferdes.«
»Es ist mein Pferd, und es ist mir sehr teuer.« Philipp sah dem Mann in die Augen, bis der seinem Blick nicht mehr standhalten konnte. Vielleicht fragte er sich,warum dieser ungehobelte Junge so erpicht darauf war, sich ihn zum Feind zu machen.
Das Schweigen war jetzt feindselig und bedrückend. Philipp stand neben seinem Pferd und klammerte sich an seiner Mähne fest. Sein Bein schmerzte so heftig, daß ihm allmählich übel wurde, aber er war entschlossen, auf den Füßen zu bleiben, koste es, was es wolle. Er hatte nur Angst, ohnmächtig zu werden, denn das hätte er sich als schändliche Schwäche angerechnet.
Nach einer Pause, die ewig zu währen schien, wahrscheinlich aber nur wenige Minuten dauerte, kamen noch zwei Männer auf die Lichtung geritten, der eine ein paar Schritt vor dem anderen. Philipps Häscher hoben grüßend die Lanzen, aber auch ohne diese Geste hätte Philipp den Mann mit dem lockigen braunen Bart, der ein purpurnes Muttermal auf der linken Wange nicht ganz verdeckte, erkannt. Er hatte Menelaos vor sieben Jahren in Pella gesehen, während einer der seltenen Perioden des Friedens zwischen Makedonien und seinem Vasallen.
»Wir haben den da beim Wildern erwischt, mein König«, sagte der Mann, der Philipps Schwert als illyrisches erkannt hatte. »Er behauptet, er hätte sich nur selbst verteidigt, weil der Eber ihn angegriffen hätte, aber…«
»Wer geht denn mit nichts als einem Schwert auf die Eberjagd?« unterbrach ihn Menelaos ungeduldig. Er war knapp vierzig und schon sehr lange König. Man hatte das Gefühl, daß er sich aufs Herrschen sehr gut verstand.
»Du bist wirklich ein Trottel, Lysander.«
Damit schien der Mann Luft für Menelaos zu werden, und der König wandte sich Philipp zu.
»Wer bist du, Junge? Das ist nicht nur ein Kratzer da an deinem Schenkel. Vielleicht solltest du dich hinsetzen und das Bein nicht länger belasten.«
»Ich bin Makedonier, mein König«, erwiderte Philippund blieb stehen, obwohl seine Beine sich allmählich anfühlten, als würden sie unter ihm zu Brei werden. »Und ich bin dein Verwandter, der Sohn deiner Schwester.«
König Menelaos starrte ihn einen Augenblick lang an, ‘ als zweifelte er an seinem Verstand, doch dann riß er die } Augen auf.
»Philipp? Bist das wirklich du?«
Als Philipp nickte, fing der König von Lynkestis lauthals zu lachen an. »Dieser Bart ist eine ausgezeichnete Verkleidung«, sagte er und schlug sich vor lauter Ausgelassenheit mit der Hand auf die Brust. »Als ich dich das letzte Mal sah, warst du nicht mehr als sieben oder acht – ein kleiner Junge eben. Damals hast du noch mit deinen Spielzeugsoldaten gespielt!«
Bei dem Gedanken lachte er noch einmal laut auf, hielt dann plötzlich inne und sah zu dem Schwertheft hinunter, das zwischen den Schulterblättern des toten
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