Der Makedonier
Pella?«
Die Frage ließ auf eine gewisse Vorsicht schließen, aber nicht mehr, als es bei einem Fremden üblich war – denn »Pella« konnte ja nur eines heißen –, und der Mann, der sie stellte, vermittelte dabei den Eindruck, als fragte er sich, mit welchem Recht sich sein junger Gast um die Angelegenheiten von Königen kümmerte. Sein hartes Bauerngesicht blieb dabei jedoch unbewegt.
»Ich habe Familie dort«, antwortete Philipp, und er war zufrieden mit sich, weil er eine richtige Lüge vermieden hatte. Dann lächelte er und zuckte die Achseln, als sei das ein Makel.
Der Schäfer, ein Mann von mittleren Jahren, der früher Soldat gewesen sein mochte, schien mit der Antwort zufrieden zu sein. Er räusperte sich, spuckte ins Feuer und hörte stirnrunzelnd dem Zischen zu.
»Hast du deine Familie in letzter Zeit gesehen?« fragte er dann. Als Philipp den Kopf schüttelte, nickte der Schäfer, als hätte er gar nichts anderes erwartet. »Na, dann werden sie dir erzählen, daß wir einen neuen König haben. Der alte Amyntas ist diesen Sommer gestorben – im Bett, den Göttern sei Dank. Aber soweit ich weiß, führt der Sohn im Süden bereits Krieg.«
Sein Mißfallen war deutlich zu hören, obwohl er es nicht direkt aussprach, doch als jemand lachte, verdüsterte sich sein Gesicht, und er wandte sich ernsthaft erzürnt an den Mann.
»Wenn du glaubst, daß der König etwas Falsches tut, Duskleas, dann geh zu ihm und sag es ihm ins Gesicht. Das ist dein gutes Recht, wenn du nur den Mut dazu hast, aber ich werde nicht dasitzen und zuhören, wie du hinter seinem Rücken über König Alexandros herziehst.«
»Ja, Kaltios, das wissen wir alle…«
Aber was Duskleas auch hatte sagen wollen, blieb ihm im Hals stecken, als er den finsteren Ausdruck in Kaltios’ Gesicht erblickte.
»Ich weiß, welche Achtung dem König der Makedonier gebührt, das ist alles. Das ist alles, was ein Mann wissen muß, um sich vor den unsterblichen Göttern keine Schande zu machen.«
Darauf gab es nichts mehr zu sagen, und so saßen die Männer lange Zeit in bedrücktem Schweigen um das Lagerfeuer.
Schließlich begann Philipp sich zu überlegen, was er sagen konnte, denn er hatte das Gefühl, daß es seine Pflicht als Gast war.
»Dem König ist also kein Kriegsglück beschieden?« fragte er. Einen Augenblick lang sah Kaltios ihn an, als hätte auch er eben eine Unverschämtheit geäußert, doch dann wandte er sich wieder ab und starrte mürrisch ins Feuer.
»Wie lange ist es her, seit den makedonischen Waffen zum letztenmal Glück beschieden war? Und wie lange wird es dauern, bis es wieder einmal so ist?«
Die Nacht brach herein, als Philipp die Mauern von Pella erreichte. Neben den Stadttoren brannten Feuer, und der Hauptmann der Wache mußte seine Fackel heben, um Philipps Gesicht erkennen zu können.
»Bist das wirklich du, mein junger Prinz? Dann haben die Illyrer dich also doch nicht getötet – aber vielleicht haben sie auch nur geglaubt, daß dieser schwarze Teufel von einem Pferd ihnen die Arbeit abnehmen würde.«
Philipp spürte, wie seine Eingeweide zu Eis erstarrten, aber er lachte mit den anderen.
»Ist der König noch in Thessalien?« fragte er.
»Dann hast du also schon davon gehört.« Der Hauptmann schüttelte den Kopf, als wäre es ihm peinlich. »Ja, er ist immer noch dort. Die Thebaner sind ins Feld gerückt, und wie es heißt, verlangen sie harte Bedingungen für einen Frieden.«
»Wer ist ihr Anführer – Pelopidas?«
»Genau der.«
Philipp erwiderte nichts, sondern drängte sein Pferd durch das sich öffnende Tor. Pelopidas der Unbesiegbare, der Kämpe von Theben, den viele für den besten Feldherrn der Welt hielten; es war fast eine Erleichterung. Von Pelopidas geschlagen zu werden, war keine Schande.
Denn geschlagen würde Alexandros sicher werden, wenn er dumm genug war, sich von den Thebanern in eine Schlacht verwickeln zu lassen.
Auch nach Einbruch der Dunkelheit herrschte noch reges Treiben in der Stadt. Der Winter war fast vorbei, und die Bürger von Pella, dieses gesellige Völkchen, drängten sich in den Straßen, um zu kaufen und zu verkaufen, um zu streiten, zu schachern und zu klatschen. Es gab Stände mit Stoffdächern, an denen jeder, der einige Münzen in der Tasche hatte, kaufen konnte, wonach ihm der Sinn stand: Wein, gebratenes Fleisch, Feigen, lebende Enten, grüne Melonen aus Lesbos, Schwerter und Rüstungen aus Phrygien, thrakische Pferde, Manuskripte aus Athen und
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