Der Maler Gottes
soll ein Gerechter sein? Und wer ist ein Gerechter? Die Klosterbrüder der Antoniter, die offenbar glauben, mit ein bisschen Weihrauch die bösen Geister vertreiben zu können? Matthias lässt sich auf einen Mauervorsprung im Klostergang nieder und sinnt nach. Vier Jahre noch, dann wird er die Schule beendet haben und sein erstes Gelübde ablegen. Er wird Novize sein und fortan im Kloster leben. Matthias friert bei dem Gedanken. Er rafft seinen Kittel über der Brust zusammen und seufzt. Nein, so möchte er nicht leben. Hier im Kloster wird er Gott nicht finden. Er weiß es, spürt es mit jeder Faser seines Körpers. Doch was soll er sonst tun? Noch einmal seufzt er tief, steht auf, um nach Hause in die Werkstatt des Vaters zu gehen. Dort wird er gebraucht.
»Matthias! Matthias, so warte doch!«, hört er eine Stimme hinter sich. Er bleibt stehen und dreht sich um. Bruder Benedikt, ein Mönch aus der Schreibstube, rennt auf ihn zu. Kurz vor ihm bleibt er stehen, zieht Matthias am Arm hinter eine Säule.
»Was ist?«, fragt Matthias. »Ich bin in Eile. Der Vater wartet.«
»Pscht!« Bruder Benedikt legt den Finger auf den Mund. »Sprich nicht so laut. Es könnte uns jemand hören.« Der Mönch späht den Klostergang auf und ab, dann beugt er sich dicht an Matthias’ Ohr und flüstert: »Ich habe gehört, du schnitzt Heiligenfiguren. Oder malst sie auf kleine Holztafeln, wenn du welche hast. Bitte, Matthias, mach auch mir eine solche Figur. Eine Maria möchte ich. Eine Maria mit dem Jesuskind im Arm. Und eil dich damit. Ich werde dich gut bezahlen.« Matthias schüttelt verwundert den Kopf: »Woher wisst Ihr das, Bruder Benedikt?«
»Pah!« Bruder Benedikt lacht dunkel auf. »Das ganze Kloster spricht davon. Als Bruder Ignatius krank darnieder lag, hast du ihm eine kleine Statue geschnitzt. Und was ist passiert? Er ist gesund geworden und schwört bei Gott, dass es ihm besser ging in dem Augenblick, als er die Statue in den Händen hielt.«
Wieder späht Bruder Benedikt hinter der Säule hervor, dann spricht er weiter. »Es ist kein Geheimnis, dass uns die Heiligen schützen vor Krankheit, Leid und Tod, wenn wir sie nur nahe genug bei uns haben. Mach mir auch eine solche Figur. Schnitz mir eine Maria oder mal sie mir. Das Holzbrett bringe ich dir. Und zu keinem Menschen ein Wort!«
»Warum schweigen? Es ist nicht verboten zu malen und zu schnitzen.«
Der Mönch an seiner Seite zappelt unruhig, lugt schon wieder hinter der Säule hervor nach allen Seiten, winkt Matthias so dicht an sich heran, dass dieser den Weinatem des Bruders im Gesicht spürt.
»Bruder Martin, du weißt schon, der den Schlüssel zum Weinkeller hat. Gestern nach dem Abendläuten hat er gesehen, wie die Weinfässer tanzten. Mit eigenen Augen hat er es gesehen!«
Bruder Benedikt sieht Matthias an, und in seinen Augen glitzert die Angst. »Es ist ein Zeichen!«, flüstert er furchtsam.
Matthias lächelt. Er kennt Bruder Martin und seine Liebe zu den Weinfässern.
»Er wird sich den Humpen zu oft gefüllt haben«, vermutet er.
»Nein! Nein! So war es nicht. Nüchtern war er, nüchtern wie ein Stockfisch. Ich habe ihn getroffen. Er kam aus dem Keller gerannt, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Gezittert hat er am ganzen Körper, der Angstschweiß lief ihm übers Gesicht. Die Fässer haben getanzt, so glaub es doch!« Bruder Benedikt packt Matthias bei den Schultern und schüttelt ihn beschwörend. »Mal mir eine Heilige! So schnell es geht! Wenn erst die anderen Brüder von den tanzenden Weinfässern hören, dann kommen sie alle zu dir. Doch ich war der Erste. Mir musst du zuerst eine Heilige machen. Und schwöre, dass du den anderen nichts erzählst!«
Matthias schüttelt die Hände des Mönches ab. »Gut!«, sagt er. »Ich werde Euch eine Heilige malen. Doch erst bringt mir das Holz und seht auch, dass Ihr Farben bekommt.«
Dann dreht er sich um und geht rasch davon. Am nächsten Tag schon bringt ihm Bruder Benedikt das Holz und die Farben. Die Geschichte von den tanzenden Weinfässern scheint sich im Kloster inzwischen herumgesprochen zu haben, denn auch Bruder Martin, Bruder Josef und einige andere Mönche bestellen bei Matthias kleine Heiligenbilder oder Figuren. Nachts arbeitet Matthias in der Werkstatt seines Vaters an den Aufträgen der Klosterbrüder.
Seit er vor zwei Jahren hier die Statue der heiligen Elisabeth geschnitzt hat, sitzt er oft von Mitternacht bis zum Morgengrauen in der Werkstatt und meißelt und zeichnet.
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