Der Maler Gottes
doch Matthias sieht an seinem Gesicht, dass eine Last von ihm abgefallen ist. Mit keiner Silbe und keiner Geste verrät er, dass er weiß, dass Matthias die Statue des Nachts zur Vollendung bringt. Nur einmal, als der Präzeptor des Klosters in die Werkstatt kommt, sich nach dem Fortgang der Arbeit erkundigt und die noch unfertige Figur mit den Worten: »Es ist die Arbeit eines Meisters. Eines Meisters zwar, der sein Handwerk noch lernen muss, der es aber eines Tages zu etwas Großem bringen wird«, lobt, bejaht der Vater und wirft Matthias einen anerkennenden Blick zu. Mehr nicht. Der Präzeptor nickt noch einmal bestätigend und klopft Johannes anerkennend auf die Schulter. »Du machst deinem Vater viel Ehre, mein Sohn«, sagt er, und Johannes wirft sich in die Brust und schaut Matthias, der den Boden fegt, triumphierend und etwas blöde an. Der Jüngere senkt den Kopf, weicht den Blicken aus und kehrt so beflissen weiter, als sei dies das Einzige, wozu er taugt. Als Matthias in der nächsten Nacht nach unten in die Werkstatt schleicht, liegt neben der Statue ein nagelneues Schnitzmesser. Ein Messer, wie er es sich schon so lange gewünscht hat. Er nimmt das Werkzeug in die Hand, prüft vorsichtig die Schärfe der Klinge und lächelt. Dann macht er sich an die Arbeit. Das Messer schwebt in seinen Händen, schwebt über dem Holz, lässt beinahe wie von selbst die heilige Elisabeth in dieser dunklen Werkstatt von Grünberg-Neustadt in all ihrer Schönheit und Zartheit wieder auferstehen. Auferstanden unter den Händen eines Jungen, dem es bestimmt ist, Geistlicher zu werden. Einige Nächte später ist die Statue endlich fertig. Ein Glücksgefühl durchströmt Matthias, ein Gefühl, das so groß ist, wie er es vorher noch nie erlebt hat. Er hält die Figur in den Händen, lächelt still vor sich hin und streichelt das Holz. Dann erst sinkt er auf die Knie und betet aus tiefstem Herzen zu Jesus, seinem Heiland.
3. K APITEL
Das Ende der Welt ist nahe, die Zeit der großen Schrecknisse gekommen. Furchtbare Zeichen am Himmel verkünden die Ankunft des Jüngsten Gerichts. Gerüchte durchstreifen wie Rudel wilder Hunde das Land, dringen in jede Stadt, jedes Dorf, jedes Haus. Die Leute glauben, was sie hören: Blutiger Regen fällt vom Himmel, Kometen verglühen und malen dabei lodernde Kreuze in die Nacht, Meteore schleifen die langen Haare ermordeter Frauen durch den Weltenraum. Kälber mit zwei Köpfen werden geboren, Dürre versengt die Felder, macht die Ernte zunichte. Die Menschen in den Städten und Dörfern werden von einer Geißel Gottes in Form einer seltenen Krankheit heimgesucht, die Soldaten aus Italien mitgebracht haben: Syphilis. Propheten ziehen von Marktplatz zu Marktplatz, um vom Zorn Gottes zu künden. Auch in Grünberg scharen sich die Bewohner um die Wanderpropheten. Sie sind sicher, dass die Rache Gottes hinter all den Schrecken und Zeichen zu suchen ist. Diese Gewissheit erfüllt sie mit Verzweiflung. Auch Matthias hört von all dem, und auch er hat Angst. Angst vor dem strafenden Gott, vor dem Teufel, vor Dämonen und vor all den Zeichen und Geschichten, die er hört. Der Prophet, der heute auf dem Grünberger Marktplatz predigt, bestätigt Matthias’ Ängste. Er beschwört die Menge mit Zitaten aus der Offenbarung: »Und die Menschen werden den Tod suchen und nicht finden, sie werden sterben wollen, doch der Tod wird vor ihnen fliehen. Heuschrecken werden kommen, groß wie Rösser und zum Krieg gerüstet mit Menschengesicht, mit Haaren wie Frauenhaar und Zähnen wie Löwenzähne.«
Auch Matthias spürt die Unruhe dieser Zeit, in der die Astrologen nicht müde werden, die Apokalypse in den Sternen zu lesen, in der alle Menschen ratlos und rastlos nach Gott suchen, nach dem Heil, nach einer Zuflucht und nach Trost für den Leib und für die Seele. Und auch Matthias sucht nach dem Heil, sucht es in den Ritualen des Betens, schließt die Augen beim Abendmahl, wenn er den Leib des Herrn mit seinen Lippen empfängt. Doch der Leib schmeckt wie immer, nämlich fade wie Papier. Matthias wartet, dass sich der Wein in seinem Mund zu Blut verwandelt, wartet auf den süßlich dicken Geschmack, doch der Wein bleibt Wein, rinnt ihm essigsauer die Kehle hinab. Haben selbst die Symbole ihre Kraft verloren? Warum gelingt es ihm nicht, die Stimme des Herrn zu hören? Warum gelingt es ihm nicht, teilzuhaben am Trost des Herrn, den die Mönche, glaubt man ihren Worten, allein mit dem Betreten der Kapelle erfahren?
Er
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