Der Maler Gottes
keinem Wort. Erst als Matthias ihn mit klarem, wachem Blick anschaut, sagt er: »Ich werde mit deinem Vater sprechen. Er soll dich als Lehrling in die Werkstatt nehmen. Für deinen Unterhalt wird das Kloster sorgen. Als Gegenleistung wirst du uns einen heiligen Antonius für die kleine Seitenkapelle schnitzen.« Der Präzeptor lächelt leise und fügt hinzu: »Und natürlich musst du auch weiterhin die kleinen Heiligenbilder und -figuren für die Klosterbrüder anfertigen.«
Matthias scheint es, als wäre Johannes alles andere als froh darüber, dass er die Klosterschule verlassen hat und nun in der Werkstatt des Vaters als Lehrling arbeitet. Vom ersten Tag an behandelt er den kleinen Bruder wie einen Leibeigenen. Sobald der Vater der Werkstatt den Rücken kehrt, schickt Johannes Matthias zum Holzhacken, obwohl der Stapel im Hof noch Manneshöhe hat, lässt ihn ein winziges Schälchen Wasser am Brunnen auf dem Markt holen, ungeachtet der vollen Eimer und Schüsseln, oder weist ihn an, an zwei Tagen hintereinander ein und dasselbe Beet im Garten umzugraben. Doch Matthias beklagt sich nie. Wenn der Vater jedoch in der Werkstatt arbeitet, schaut er ihm genau auf die Finger, stellt eine Frage nach der anderen, lässt sich die verschiedenen Schnitztechniken erklären und lernt alles über Farbherstellung, Farbauftrag und Malweise.
Er müsste glücklich sein, doch er ist es nicht. Eine Traurigkeit, die er sich nicht erklären kann, überschattet alle Tage, macht ihn wortkarg und zurückgezogen. Während die anderen Grünberger Jungen beginnen, den Mädchen hinterherzusteigen, sitzt Matthias gedankenversunken am Rand und träumt sich in eine andere Welt. Die Vergnügungen der anderen langweilen ihn, ihre Scherze belustigen ihn nicht, zu ihren Gesprächen weiß er nichts beizutragen. Und doch betrachtet er manchmal wehmütig die raufende, lachende Bande und wünscht sich, dabei zu sein, einen Freund zu haben, Kameraden, Gefährten. Er ist allein und hat mehr als einmal erfahren, dass die anderen ihn nicht wollen, mit ihm genauso wenig etwas anfangen können wie er mit ihnen. Liegt das Unvermögen, mit den anderen in Verbindung zu treten, an ihm? Ist er schlechter als die anderen? Und deshalb mit Traurigkeit gestraft?
Nur beim Malen und Schnitzen lebt er auf, zeigt Mut und Temperament.
Zwei Jahre geht das so, dann weiß er alles, was der Vater ihm beibringen kann. Johannes hat er längst überflügelt. Er weiß es, und Johannes weiß es auch. Die schwierigen Aufträge bekommt nun Matthias zur Ausführung. Die Auftraggeber, unter ihnen auch immer wieder der Präzeptor des Antoniterordens, sind voll des Lobes. Gerade hat Matthias begonnen, eine Statue des Jüngers Johannes zu schnitzen. Er schnitzt den Schutzpatron der Maler und Bildhauer, den Namenspatron seines Vaters und Bruders, für den Vater. Er will ihm zeigen, wie viel er von ihm gelernt hat, will ihm seine Dankbarkeit zeigen. Dankbarkeit vor allem dafür, dass er seufzend einverstanden gewesen war, dass Matthias die Klosterschule verlassen und als Lehrling in die Werkstatt kommen sollte. Und Matthias hat viel gelernt in den letzten Jahren. Der 17-jährige ist noch lange kein Geselle, doch seine Fähigkeiten sind bereits so entwickelt, dass sie dem Vater alle Ehre machen.
Doch Johannes neidet ihm seine Fertigkeiten und seinen Erfolg.
»Matthias muss fort«, fordert er eines Tages vom Vater. »Ich gehe auf Brautschau, will mich bald verheiraten. Er ist der Zweitgeborene, hat nicht das Recht auf einen Platz in Werkstatt und Haus. Spätestens wenn ich mir eine Frau ins Haus hole, muss er weg.«
Matthias steht dabei und schweigt. Der Vater will beschwichtigen: »Noch ist es nicht so weit. Musst erst noch Meister werden, ehe du heiraten kannst. Du kennst die Regeln unserer Zunft. Sie verlangen ein Meisterstück oder die Übernahme einer Werkstatt nach dem Tod des Meisters. Aber noch lebe ich.«
»Doch deine Tage sind gezählt«, murmelt Johannes leise, aber so, dass Matthias die Worte gut hören kann. Wenige Wochen später erfüllt sich Johannes’ bittere Prophezeiung. Von einem Tag auf den anderen wird der Vater krank. Vom Fieber geschüttelt, liegt er in der Schlafkammer, trinkt kaum, isst noch weniger. Mit jedem Tag wird er schwächer. Die Mutter, die nicht von seiner Schlafstatt weicht, ringt die Hände. Zwei Wochen bangen sie um den Vater, dann schickt die Mutter Matthias zum Pfarrhaus.
»Hol den Geistlichen. Es ist Zeit für die letzte Ölung.« Sie nimmt ein
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