040 - Ein Monster namens Charlie
Sie hieß Emily Fonda und war die Tochter eines der reichsten Männer Amerikas. Dunkelhaarig und schlank war sie, immer ein bißchen verrückt gekleidet, quirlig und lebenslustig.
Ihr Vater besaß ein großes Haus am Long Island Sound. Es war schon fast ein Palast. Obwohl Emily dort aufgewachsen war, hatte sie sich darin nie so recht wohl gefühlt.
Alles war ihr zu überdimensioniert, zu unübersichtlich gewesen.
Und dann das viele Personal. Auf Schritt und Tritt hatte sich das Mädchen daheim beobachtet gefühlt.
Aber das war nicht der Grund gewesen, weshalb sie von zu Hause fortzog. Eigentlich gab es mehrere Gründe. Der erste war, daß sie mit einundzwanzig Jahren auf eigenen Beinen stehen wollte. Der zweite Grund war, daß sie ihrem Vater, Wyatt Fonda, nicht im Wege sein wollte, denn er hatte nach seiner Scheidung eine Frau gefunden, die er liebte. Grund Nummer drei war, daß sie sich als Künstlerin entfalten und profilieren wollte. Grund vier: Stella Frey, mit der sie zusammenwohnen wollte… Und es gab noch eine Menge Gründe mehr, die sie veranlaßt hatten, dem riesigen Haus am Long Island Sound ade zu sagen und in das Herz von New York, nach Manhattan, zu ziehen.
Hier wohnte sie auf der Spitze eines schwarzen Marmorwolkenkratzers und überblickte die Stadt nach allen Richtungen.
East River, Hudson River, Battery Park an der Südspitze – und sogar die Häuser der Bronx im Norden konnte sie sehen.
Das Penthouse-Atelier hatte Wyatt Fonda gekauft und eingerichtet. Emily hatte es ihrem Vater erlaubt. Schließlich stand sie mit ihm nicht auf Kriegsfuß, und es machte ihm große Freude, sein Geld für sie auszugeben.
»Du bist die Tochter eines bekannten Mannes, also mußt du standesgemäß wohnen, sonst wirft das ein schlechtes Licht auf mich, und ich muß auf mein Image achten«, sagte er.
Seine Welt waren die Computer. Sein Elektronik-Konzern überschwemmte den Weltmarkt mit hervorragenden Qualitätsprodukten. Wohin man kam, ob Indien, Afghanistan, Rußland oder Alaska – überall fand man Fonda- Geräte.
Wyatt Fondas Unternehmen brauchte weder die Konkurrenz im eigenen Land noch irgendeine ausländische zu fürchten. Der Betrieb stand auf soliden, gesunden Beinen, wuchs jährlich, aber niemals so rasch, daß der Chef die Kontrolle über sein Elektronik-Imperium verlor.
Fonda richtete das Penthouse-Atelier nach den Wünschen seiner Tochter und deren Freundin ein, doch hinterher sagte er nicht:
»Also, mach’s gut, laß in ein paar Jahren wieder mal von dir hören«, sondern er bat seine Tochter an dem Tag, an dem sie ihn verließ, noch um eine kurze Aussprache in seinem Arbeitszimmer.
»Hör zu«, sagte er, »ich will jetzt keine schwülstige Abschiedsrede halten, das liegt mir nicht. Ich möchte nur, daß du weißt, daß ich immer für dich da bin. Es fällt keine Tür hinter dir zu, sie bleibt immer offen. Sollte dir das Leben dort draußen zu rauh sein, kannst du jederzeit gern zu mir zurückkommen.«
»Ich weiß, Dad«, sagte Emily. »Wir trennen uns in Freundschaft. Ich liebe dich und werde dich immer lieben.«
Er lächelte. »Ich bin sehr stolz auf dich, mein Kind. Doch laß mich fortfahren. Emily Fonda ist nicht Lieschen Müller oder Agatha Brown. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
»Du meinst, der Name Fonda verpflichtet.«
»Das auch, doch davon wollte ich jetzt eigentlich nicht sprechen. Es geht mir um etwas anderes. Wenn die Menschen den Namen Fonda hören, denken sie an Computer, an einen Weltkonzern, an Einfluß, Macht und… Geld. Wir brauchen uns nicht zu schämen, daß wir reich sind, mein Kind. Ich habe hart dafür gearbeitet und tue es immer noch. Aber es gibt Leute, die uns beneiden oder sogar hassen …«
»Wegen des Geldes?«
»Ja, Emily. Sie sehen nicht ein, warum wir so viel und sie so wenig davon haben. Sie finden das in höchstem Maße ungerecht. Daß ich Unsummen für wohltätige Zwecke ausgebe, lassen sie nicht gelten. Sie möchten sich etwas von unserem Geld holen. Bei vielen bleibt es nur beim Wollen, weil sie zu feige sind, es wirklich zu tun. Aber es gibt auch andere, und vor denen müssen wir uns schützen.« Er trat auf seine Tochter zu und legte seine Hände auf ihre Hüften. »Nach dieser langen Vorrede möchte ich zum Kern kommen, Emily. Ich habe nichts dagegen, daß du unabhängig sein willst. Alle jungen Menschen wollen irgendwann mal von zu Hause fort, das ist ganz natürlich und in Ordnung. Meine Sorge gilt einem anderen Problem. Du wirst im
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