Der Mann aus dem Safe
Fenster, sammelte sich auf dem Fußboden und stieg. Langsam, Zoll für Zoll. Bis ich darin unterging.
Wie in jeder Nacht. Wie in jedem Traum.
Als ich aufschreckte, war es nach Mitternacht.
Ich rüttelte mich selbst wach. Du vermasselst es, dachte ich. Du lässt dir diese Sache aus den Fingern gleiten.
Ich musste etwas zeichnen, so viel stand fest. Irgendetwas. Ich hatte noch eine Stunde Zeit. Vielleicht anderthalb. Dann wäre es Zeit, zu ihr zu fahren.
Was empfindest du jetzt in diesem Moment? Das musst du dich fragen. Konzentrier dich darauf und fang an zu zeichnen.
Ich nahm ein neues Blatt Papier. In die untere rechte Ecke zeichnete ich mich selbst, hier an meinem Schreibtisch, den Kopf auf den Armen, wie ich vor einer Minute noch gesessen hatte. Eine große Traumblase über mir, die den ganzen Rest der Seite einnahm.
Ja, das ist es. Keine sechs Panels, nur eines. Ein ziemliches Risiko, mag sein. Wahrscheinlich völlig bescheuert. Aber so geht es. Eine Seite, auf der ich ihr zeige, wie ich sie sehe, spät in der Nacht, in meinen Unterwasserträumen.
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Kapitel sechzehn
Los Angeles
Januar 2000
D ie Hintertür des Clubs war verschlossen, also mussten wir zum Vordereingang gehen. Der Türsteher guckte ein wenig, als er den Zustand meines Gesichts sah, erinnerte sich aber eindeutig an uns und ließ uns ein.
Ich fand eine Toilette, sah in den Spiegel und wusch mir den Dreck aus dem Gesicht. Danach spritzte ich mir etwas Wasser auf die Haare und versuchte, sie einigermaßen zu glätten. Nachdem ich mein Möglichstes getan hatte, ging ich wieder hinaus und suchte nach Lucy. Während wir uns über die Tanzfläche voranarbeiteten, konnten wir Julian und Ramona an dem Tisch hoch über uns sehen. Wesley saß bei ihnen. Julian entdeckte uns, worauf seine Coolness ihn vielleicht für eine halbe Sekunde im Stich ließ, aber er fing sich schnell wieder.
Lucy und ich stiegen die Wendeltreppe hinauf, passierten den Galerie-Gorilla und schlängelten uns zu dem Tisch durch. Wesley stand auf, ganz der Gentleman, und gab Lucy ihren Stuhl zurück.
»Wir haben uns schon gefragt, wo ihr steckt«, bemerkte er.
»Wie gesagt, der Mann musste sich um seine Geschäfte kümmern«, antwortete Julian für mich. »Sich vergewissern, dass alles bereit ist.«
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte mich Wesley. »Du siehst aus, als wärst du unter die Räder gekommen.«
Du verstehst kein Englisch, ermahnte ich mich. Du darfst noch nicht mal so gucken, als könntest du ihm folgen.
»Genau so war’s«, sagte Lucy und rechte mit ihren Fingernägeln durch meine Stoppeln. »Er ist ganz schön unter die Räder gekommen.«
Zur Demonstration rechte sie mit diesen Fingernägeln auch noch über meine Wange, was höllisch weh tat, aber bei Wesley ein Lächeln und ein anerkennendes Nicken hervorrief.
»Okay, zur Sache«, sagte Julian. »Genug herumgealbert jetzt, finde ich.«
Das gehörte zu seinem Part, wie mir später klarwurde. Den Typ aggressiv angehen. Ein bisschen zu begierig wirken. Den Deal vorantreiben, als könnte man es nicht mehr abwarten.
»Ganz meiner Meinung«, sagte Wesley. »Kommen wir zum Geschäft.«
Julian wandte sich an mich und sagte etwas auf Russisch. Zumindest hörte es sich russisch an.
Ich wartete einen Takt, dann nickte ich.
»Wo machen wir das nun?«, fragte Julian.
»Ich geh mal kurz beim Geldautomaten vorbei«, sagte Wesley. »Ihr bleibt noch ein Weilchen hier, ja?«
»Ist mir recht. Kannst du uns noch eine Flasche bringen lassen?«
Wesley grinste ihn an. »Kommt sofort, mein Freund.«
Er verabschiedete sich und ging zu dem Gorilla hinüber. Ich beobachtete ihn. Als er sich umdrehte, sah ich einen herablassenden Ausdruck über sein Gesicht huschen. Wir waren doch bloß Kinder, hieß das. Es war fast zu leicht, uns übers Ohr zu hauen.
In dem Moment durchschaute ich den Plan endlich. Die scheinbar irrsinnige, aber total brillante Idee hinter dem, was Julian und seine Gang da abzogen. Man wartet nicht, bis das anvisierte Opfer das Geld in den Safe legt – man sorgt dafür, dass es hineingelegt wird. Man sucht also die Nähe des Mannes. Lernt ihn kennen. Findet heraus, was er haben will. Sagt ihm, dass er es bekommen kann. Sagt ihm, dass man jemanden kennt, der jemand anderen kennt, der genau weiß, wie man es sich beschafft. Sagt ihm, dass man den Deal arrangiert, so dass jeder gut dabei wegkommt. Und bei alledem geht man so vor, dass er sich ohne den Schatten eines Zweifels für den
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