Der Mann aus Israel (German Edition)
Stiefeletten passen.
Ansonsten bemerke ich nicht viel von seinem Äußeren an diesem ersten Abend. Ich
sehe, dass er ziemlich stämmig ist, sein Hemd spannt um den Bauch. Ich
registriere es, aber es stört mich nicht. Ich bin nur gespannt, wie es
weitergeht.
Sein Blick wandert über meinen Hals, über meinen Ausschnitt
zu dem kleinen Schlitz, wo sich die zusammengepressten Brüste treffen. An
diesem Punkt verweilt er einen Moment. Ich spüre, wie sich meine Brustwarzen
versteifen. Ich halte den Atem an. Verdammt, denke ich, ihn soll es prickeln,
nicht mich. Mein Szenario sieht jetzt vor, dass er seine feuchten, ekligen
Lippen auf meine pressen wird. Dann werde ich ihm zeigen, dass bei mir gar
nichts geht. Ich werde ihm eine kräftige Ohrfeige verpassen. Schon spüre ich
die Hitze meines Schlages auf den Innenflächen meiner Hände. Er wird verdattert
dastehen, ungläubig. „Hinaus!“ werde ich schreien „Mach’, dass Du rauskommst.“
Aber der Erzengel macht nicht, was ich will. Er hebt ganz
schnell seinen Blick von meinem Dekolleté und schaut mir in die Augen, mit
einem nichtssagenden Ausdruck, beinahe geschäftlich. Ich scheine ihm nicht zu
gefallen. Zu viele Falten am Brustansatz? Zu dick? Zu alt?
„Ich denke“, sagt er ganz beiläufig „wir sollten morgen als
erstes auf den Berg der Seligpreisungen fahren. Wenn wir um acht Uhr fünfzehn
dort ankommen, werden wir die Anlage für uns haben.“ Er erzählt mir ganz genau,
wie er den Tag zu verbringen gedenke. Ich komme gar nicht vor in seiner
Programmgestaltung.
„ Leila tov , Frau Doktor, gute Nacht und schlafe
wohl.“ sagt er nach einer Weile und schließt die Tür hinter sich. Ich mache
sofort das Licht aus. Ich will mich überhaupt nicht mehr sehen, ziehe mich im
Dunkeln aus. Mich in meiner ganzen Lächerlichkeit jetzt auch noch
neonbeleuchtet im Spiegelbild ansehen zu müssen, halte ich nicht aus.
Zweiter Tag
So arrogant ich kann, nicke ich dem Erzengel am nächsten
Morgen ein kurzes Schalom zu.
Er sitzt natürlich nicht mit uns am Frühstückstisch, sondern
mit israelischen Kollegen. Sie palavern lauthals. Im ganzen Land wird so viel
und laut und unentwegt geredet und diskutiert, als müssten sie die Jahrhunderte
des Schweigens aufholen. Vereinzelt höre ich Worte, die ich verstehe. Sie reden
über Autos und darüber, welche Fußballmannschaft am Tag zuvor gut oder weniger
gut gespielt hat.
Was sind die doch primitiv, denke ich, und wende mich meinen
Gästen zu. Nur ich scheine zu wissen, was sich gehört, sitze selbstverständlich
schon früh am Morgen hautnah bei den mir anvertrauten Landsleuten und höre
ihnen zu.
Heute früh habe ich nicht, wie sonst allmorgendlich,
aufgepasst, zu wem ich mich geselle und nun sitze ich, bestraft für die
Unkonzentriertheit von Sekunden, dem Ehepaar Matthäus gegenüber. Keine
Fluchtmöglichkeit, ich muss ihnen zuhören. Die Folter beginnt schon vor der
ersten Tasse Kaffee. Ich erfahre Wichtiges. So hat Herr Matthäus gestern Abend
noch einen der beiden Sessel in seinem Zimmer auf den Korridor stellen müssen,
um Platz für seinen Koffer in der engen Behausung zu machen. Dabei schaut er
mich ganz vorwurfsvoll an.
Habe ich etwa das Hotel gebaut? Mach` doch mit deinem
Krempel, was Du willst, denke ich wütend. Mein Gott, bin ich aggressiv heute
Morgen.
Ich antworte aber ganz wohlerzogen, wie bedauerlich sein
Missgeschick sei. Auch der Blick seiner Ehefrau hinter dicken Brillengläsern
ist nicht ganz frei von Schuldzuweisung. Sie sieht furchterregend aus an diesem
Morgen. Die Nase dick geschwollen, die Wunde darauf verkrustet, die Brille mit
Hansaplatz notdürftig geflickt. So ganz unschuldig fühle ich mich tatsächlich
nicht an ihrer Pein. Sie hatte mich die ersten Tage der Reise von früh bis spät
mit ihrem ununterbrochenen Redeschwall und dem belanglosen Inhalt derartig
gequält, dass ich mir sehnlichst wünschte, es möge doch endlich etwas
passieren, was dieser schwäbelnden Omi den Mund stopfen würde. Kaum war ich
etwa fertig mit meinen Ausführungen zu der Bautätigkeit der spät-severischen Herrscher
und ihrem Sinn für die Wiederverwendung von klassischen Kapitell-Motiven oder
erörterte das Problem der monophysitischen Strömungen innerhalb des frühen
Christentums im südsyrischen Raum, übernahm Frau Matthäus unaufgefordert und
erzählte von den ersten Krabbelversuchen ihres dritten Enkelkindes. In ihrer
Begeisterung darüber sah sie fast selbst aus wie ein gealterter Säugling. Und
dann
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