Der Mann aus Israel (German Edition)
Greueln des
Holocaust. Es gelang ihm schnell, jegliches Mitgefühl in den Herzen der
Reisenden zu ersticken. Noch im Nachhinein wird mir heiß vor Abneigung, wenn
ich an Mosche denke.
Dieses Mal werde ich von Anfang an bestimmen, wie
diese Reise abläuft, koste es, was es wolle. Ich muss mich gegen diesen
einsilbigen Raffael, diesen uncharmanten Klotz durchsetzen.
Ich werfe ihm einen eisigen Blick zu und beginne, meine
einstudierte Rede vorzutragen. Meine Worte, die ich wohl durchdacht und
genauestens vorformuliert habe, sollen ihm von Anfang klarmachen, wer hier der
Boss ist.
„Ich wünsche jeden Tag eine detaillierte Absprache über das
Programm.“ Meine Stimme klingt nicht hart genug, trotzdem ich mich bemühe, ihr
einen akzentuierten und scharfen Ton zu geben. „Wenn Du etwa in einen Eurer
kitschigen Verkaufsläden gehen möchtest, um Dir nebenher etwas zu verdienen,
will ich das wissen.“ Ich spüre, dass ich nicht den gewünschten Eindruck mache.
Der Erzengel sagt kein Wort, steht ungerührt vor mir, die Hände in die Seiten
gestützt. Auf dem Kopf trägt er einen Strohhut Marke Indiana Jones. Zwischen
seinen Augenbrauen entdecke ich eine scharfe Falte. Ich komme mir albern und
kindisch vor. Am liebsten würde ich ihm die Zunge herausstrecken.
Wie werde ich das wohl aushalten, denke ich verzweifelt,
sechs lange Tage mit diesem Mann an meiner Seite?
Die Erinnerung an die lächelnden Jordanier mit ihren warmen,
dunklen Augen, an ihre herzlichen Gesten des Willkommens schleicht sich in mein
Herz. Keiner meiner arabischen Kollegen hätte auch nur im Traum daran gedacht,
mich mit einem Vorwurf zu begrüßen. Ganz im Gegenteil. Der kleine Riad etwa,
mit dem ich so oft schon durch seine Heimat Jordanien gereist bin, lächelte
auch dann noch sanft und herzlich, wenn ich ihm, nachdem er stundenlang in der
heißen Sonne auf mich gewartet hatte, endlich die Hand zum Gruß reichen konnte.
Was kann ich auch dafür, wenn die Grenzformalitäten sinnlos verzögert abliefen?
„ Ahlan vesahlan, herzlich willkommen.“ freute Riad sich, wenn er mich
sah und hielt mir einen Strauß roter Nelken hin, deren Köpfchen schlapp nach
vorne gefallen waren. Sie hatten den Kampf gegen die Hitze verloren.
Die verstehen halt etwas von Liebenswürdigkeit, denke ich
wehmütig. Ich werde Raffael Kidon gelegentlich davon erzählen, wie galant seine
arabischen Nachbarn ausländische Kollegen empfangen. Zugleich spüre ich wieder
diffusen Zorn in mir aufsteigen.
Wieso benimmt sich dieser Raffael so rüpelhaft mir
gegenüber? Was bildet er sich ein? Er sollte lieber mein Gepäck tragen, mir
eine Erfrischung anbieten oder - wenigstens - lächeln.
Ich drehe mich um und gehe zurück in die Abfertigungshalle.
Lass` Dir nur nichts anmerken, rede ich auf mich ein, es geht alles vorüber.
Tief Luft holen, Elisabeth, tief Luft holen.
Da sehe ich die Touristen meiner Gruppe hilfesuchend nach
mir in der Halle Ausschau halten. Mein Gott, denke ich, wieso haben sie immer
solche Mühe, irgendeine Entscheidung selbst zu treffen? Und wenn es nur darum
geht, einfach aus der Zollhalle hinaus ins Freie zu gehen. Ich muss sie wohl
sehr verwöhnt haben. Na, denke ich bissig, der Israeli wird es ihnen
abgewöhnen. Das könnte meine Chance sein! Bei diesem Gedanken muss ich grinsen.
Wenn es eine Chance gibt, werde ich sie nutzen. Ich setze das Lächeln auf, das
mir noch immer half, meine Ziele zu erreichen: die Augen ein wenig erstaunt und
naiv aufgerissen, die Grübchen in den Mundwinkeln nach oben gezogen. Mit dieser
Waffe im Gesicht gehe ich zum Autobus, beruhigt und ein wenig selbstbewusster.
Mag er sich noch so ekelhaft gebärden, denke ich, ich werde lächeln und
freundlich sein. Die Faust behalte ich versteckt in der Tasche.
Ich verfrachte die Gäste in den Mini-Bus, wir sind eine
kleine Gruppe. Ich lege meinen Arm ganz zutraulich um Raffael und erkläre
meinen neun Mitreisenden, welch außerordentliche Freude es mir bereite, ihnen
hiermit den versierten, hervorragend deutschsprechenden israelischen
Reiseleiter vorzustellen, der ab sofort die Leitung übernimmt. „Ja, so ist das
in Israel.“ sage ich. „Hier haben wir nichts zu sagen, die Reisen werden ausschließlich
von Einheimischen geführt. Wir deutschen Reiseleiter müssen zurück ins zweite
Glied.“
Die Gäste schauen ihn nicht nur deshalb sehr skeptisch an.
Es ist für alle auch der erste Jude, der erste Israeli, den sie treffen. Das
bereitet ihnen Unbehagen. Sie wissen nicht so
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