Der Mann aus Israel (German Edition)
anbieten
müssen. Punkt neun: Die Mittagspausen ...“
„Was?“ Plötzlich wache ich aus meiner Trance auf. „Was haben
Sie da gesagt?“
Er wiederholt Punkt acht seines Mängelkataloges. „Der
einheimische Reiseleiter saß immer auf dem besten Platz in der ersten Reihe...“
Ich lasse ihn nicht ausreden, mit sengender Stimme fahre ich ihn an.
„Ja, haben Sie denn überhaupt keinen Anstand, Sie ...
Sie...!“ Einen Moment drängt es mich, ihm all den aufgestauten Verdruss an den Kopf
zu werfen, ihn daran zu erinnern, dass in dieser Nacht der Ministerpräsident
des Landes ermordet wurde, und dass es nicht angebracht ist, jetzt mit einem
derart läppischen Zettelgeschmiere hier anzutreten. Aber ich halte nach dem
ersten Satz schon ein. Es ist sinnlos, denke ich resigniert. Ich behalte den
Rest meiner Belehrungen für mich. Es fällt mir nicht einmal schwer. Du hast
keine Widerstandskraft mehr, denke ich teilnahmslos, wie eine Blume, der die
Wurzeln ausgerissen wurden, wirst Du gleich verwelken.
„Ich unterschreibe nichts, Herr Dr. Nerwenka.“ sage ich
bleiern. „Rücken Sie einfach weiter. Sehen Sie, Sie sind jetzt zur Kontrolle
dran.“
Er sieht ein, dass es zwecklos ist, mit mir zu verhandeln,
verstaut den Bogen Papier in seiner Tasche und schließt zu den Wartenden auf.
„Hatten Sie auf Ihrer Reise Kontakt zu Arabern?“ werden die
Touristen von jungen Kontrolleurinnen gefragt. „Hat Ihnen irgendjemand ein
Päckchen mitgegeben?“ Die stark geschminkten Mädchen stellen ihre Frage
leidenschaftslos, Robotern gleich. „Haben Sie Ihren Koffer selbst gepackt? Wer
hat den Koffer vom Zimmer zum Bus gebracht?“ Das Ritual der stumpfsinnigen
Fragerei geht weiter. „In welchen Hotels haben Sie auf Ihrer Reise gewohnt?
Waren Sie bei einem Araber zu Hause eingeladen?“
Ich höre die einzelnen Stimmen, ordne automatisch die
gesprochenen Worte, aber ich nehme nichts auf, stehe wie eine Schlafwandlerin
einfach nur da, neben meinem Koffer, und rühre mich nicht vom Fleck.
„Ja, schön, also Auf Wiedersehen, Raffael.“ Mit dürrer
Knappheit verabschiedet sich Dr. Nerwenka von Raffael, der ihm die
Reiseunterlagen hinhält. Nerwenka durchschreitet als letzter der Gruppe die
Kontroll-Barriere.
Jetzt stehe nur noch ich da.
Und Raffael. Langsam kommt er auf mich zu und schaut mich
an. Ich spüre den Blick aus seinen grünschillernden Augen durch und durch, um
mich fängt sich alles zu drehen an, meine Knie werden weich, ich habe das
Gefühl umzukippen.
„Und.. und meine Papiere?“ stottere ich.
„Hier sind sie.“ Er hält meinen Pass und das Flugticket in
der Hand.
„Gib` schon her.“ Ich strecke meine Hand aus.
„Nein.“ sagt er mit dem vertrauten Lächeln, das ich so
liebe. Es erhellt sein ganzes Gesicht. Er steht vor mir, nimmt meinen Kopf in
seine warmen Hände. Sein Duft fängt mich ein, raubt mir die Besinnung. Ich
spüre, wie mein Widerstand schmilzt. Ich lehne mich ihm entgegen.
„Ich liebe Dich, Elisabeth.“ flüstert er. „Ich liebe Dich so
sehr. Bleib` hier. Bei mir. Bleib`.“
Mein Gott, wie sehr habe ich diese Worte herbeigesehnt.
Jetzt hat er sie ausgesprochen. Endlich. Endlich. Eingehüllt in die Wärme
seines nahen Körpers, gebe ich mich für eine schöne Sekunde dem Trugbild meiner
Träume hin, sehe uns Walzer tanzen und in enger Umarmung Liebesworte flüstern.
Aber es ist zu spät, schreit es in mir auf, wie gerne wäre ich geblieben, mein
Geliebter, aber es ist zu spät, zu spät, Raffi. Zu spät. Du hast alles
zerstört. Letzte Nacht.
Ich stoße ihn weg.
„Nein“, sage ich und blicke in das tiefgrüne Meer seiner
Augen. Und ich weiß, dass es zum letzten Mal ist. „ich werde dorthin
zurückkehren, wo ich hingehöre. Zu meinem Mann und zu meinen Kindern.“
Bevor er reagieren kann, reiße ich ihm die Unterlagen aus
der Hand, packe meinen Koffer und laufe durch die Sperre.
„Elisabeth! Elisabeth!“ höre ich ihn rufen. Aber ich laufe
und laufe, schubse Menschen beiseite und Gepäckwagen, rase die Treppen hinauf
zur Wartehalle, laufe atemlos weiter, bis ich sicher bin, dass eine Rückkehr
unmöglich ist. Erst dann halte ich an.
Niemand steht mehr am Eingang zum Eincheck-Gate. Ich blicke
verwirrt um mich. Was ist denn los hier? Wo sind denn alle?
„Sind Sie Frau Doktor Tobler?“poltert mich eine
Frauenstimme von hinten an. Ich drehe mich um und schaue in das erzürnte
Gesicht einer Flughafenangestellten.
„Ja, ja. Tobler. Das bin ich.“ stammle
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