Der Mann aus Israel (German Edition)
genügend im Winter, bestünde die Gefahr von Wassermangel, was drastische
Einschränkungen im Verbrauch zur Folge hätte. Eine Bedrohung, vor der jeder
Israeli zittere. Eine Bedrohung von vielen. Eine andere sei der Wasserneid der
Nachbarstaaten, Anschläge habe es schon viele gegeben, deshalb sei die große
Pumpanlage zur Wasserverteilung am nördlichen Ende des Sees auch
atombombensicher gebaut. Er nennt Zahlen, die ich mit denen, die ich auch im
Kopf habe, vergleiche. Es stimmt alles, was er sagt.
Aber der Unterton in der Stimme, macht mich rasend. So als
sei Widerspruch schon von vorneherein zwecklos. Wieso eigentlich, denke ich,
haben die hier die Weisheit gefressen?
„Wir lieben unseren See sehr.“ sagt Raffael. „Es ist ja auch
der einzige, den wir im ganzen Land haben.“ Ja und, denke ich, immerhin. Die
Jordanier nebenan haben gar nichts. Den mickrigen Yarmuk und noch ein winziges
Rinnsal, das ist alles.
„Kann ich denn vielleicht auch mal was sagen, lieber
Raffael?“ frage ich und versuche, meiner Stimme einen balsamischen Ton zu
geben.
„Du kannst oben die Kirche und die Bergpredigt erklären.
Dann kann ich draußen warten. Ich gehe nicht gern in Stätten anderer
Religionen.“ gibt er mir zur Antwort.
Den Knochen frisst Du selbst, denke ich. „Nein, nein, mein
Lieber“, säusle ich. „das musst schon Du erledigen. Ich kenne mich da oben
nicht so gut aus. Und übrigens, wenn Du nichts dagegen hast, suche ich mir die
Themen, zu denen ich mich äußern will, selbst aus.“
„Aber natürlich, meine Rose“, sagt er und lacht aus vollem
Hals. „Du bist die Prinzessin, ich Dein Knecht.“ Er sieht unverschämt gut aus,
wenn er lacht. Die Bernstein-Augen glitzern. Sein Lachen breitet sich über das
ganze Gesicht aus, am Ohransatz bilden sich kleine Fältchen. Sie sind sicher
ganz weich. Blitzweiß die Zähne, dental-hygienisch gepflegt, wie bei vielen
Israelis. Sein Gebiss sieht aus, als hätte er Lust zuzubeißen, Lust etwas zu
zerfleischen. Er wirkt überhaupt wie ein Löwe. Kraftstrotzend und satt,
scheinbar entspannt und wohlig faul, aber immer zum Angriff parat.
„Buon giorno, cara mia.“ begrüßt mich die alte
Benediktiner-Nonne, die im Schatten der herrlichen Bäume der Anlage um den Ort
der Bergpredigt ihr Alter absitzen darf. Man hat ihr gestattet, in der Nähe der
Wirkungsstätten ihres Herrn Jesu zu bleiben, anstatt heim in den Vatikan kehren
zu müssen, wie die anderen Dienerinnen Gottes, wenn sie zu alt für labora werden
und nur noch für ora taugen.
„ Ti benedico.“ sagt sie liebevoll zu mir und legt mir
ihre faltige Hand auf den Kopf. Oh ja, segne mich, denke ich, Du, die über alle
Wut erhaben scheinst, gib mir ein wenig Deiner Ruhe, bitte, bitte. Ich bin auf
eine so unangenehm bittere Weise zornig, dass ich mich konzentrieren muss,
diesem meinem Lieblingsort hoch über dem See Genezaret seinen üblichen Zauber
abzugewinnen. Ich setze mich auf die Brüstung neben dem Eingang zur Kirche,
lasse meine Blicke über den silbernen See streifen, hinüber zu den Hügeln des
Golan. Einen Blick, der mehr Frieden verströmt, kenne ich nicht. Der
wolkenlose, herbstlich-blaue Himmel spannt sich über die braun-grünen Kuppen
des Golan. Der See schmiegt sich elegant in diese Komposition. Wie ein Gemälde
aus der Romantik. Und ich sitze mittendrin. Hier möchte ich ein Haus. Hier
müsste es doch möglich sein, Ruhe zu finden. Die innere, die unbestechliche,
die sokratische. Dann könnte ich anmutig sein und sanft, hätte weiche
Bewegungen und nicht diese zusammengekniffenen Lippen und nicht das leichte
Kopfweh hinter der angespannten Haut meiner Stirn.
Raffael hat die Gruppe unter einem Magnolienbaum versammelt.
Erwartungsvoll sitzen alle neun im Rund um den Meister, keiner schwätzt oder
nestelt an seiner Kamera herum. Wie Schulkinder lassen sich die von dem maßregeln,
denke ich. Ich geselle mich dazu, lehne mich an den Baumstamm, wippe nun
meinerseits provozierend mit dem Fuß. Immerhin zählt das frühe Christentum zu
einem meiner Spezial-Gebiete. Jetzt werde ich fündig werden, ihn unterbrechen
und korrigieren können. Der Wunsch danach vergeht mir aber sofort. Raffael
spricht mit enormem Respekt von Jesus Christus und seiner Lehre, mit einer Kenntnis,
die mich über alle Massen erstaunt. Er erzählt von der Vielfältigkeit der
Bevölkerung und der ebenso vielfältigen religiösen Vorstellungen zur Zeit Jesu
Christi im alten Palästina.
„Die alten semitischen Wetter-,
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