Der Mann aus London
fest. Erst muß die Autopsie vorgenommen werden.«
»Aber warum? Wo ich doch alles erklärt habe.«
»Es muß festgestellt werden, welcher Schlag den Tod verursacht hat, und wodurch.«
»Seine Frau … Ist sie abgereist?«
»Nein. Sie ist immer noch im Hotel.«
»Was glauben Sie, wird Brown in Dieppe beerdigt?«
»Sofern sie nicht die Überführung nach England bezahlt …«
»Das können doch die Mitchels bezahlen!«
Er runzelte die Stirn, schaute seinen Anwalt ungehalten an und seufzte:
»Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Aber wir müssen uns unbedingt darüber einig werden …«
»Schon gut, schon gut … Morgen dann, oder übermorgen!«
Was machte das alles noch aus! Zur Beerdigung würde er also auch nicht können, denn Madame Brown würde die hundert Pfund von den Mitchels zweifellos für die Überführung der Leiche ausgeben. Er würde sie also nicht wiedersehen, weder sie noch ihn.
Es war idiotisch, aber so war es eben! Das schlimmste war, daß es ganz anders hätte kommen können. Es hatte nur an Zufällen gehangen.
Zum Beispiel, als Brown in der Nacht um ein Haar in die Glaskabine heraufgekommen wäre und dann doch auf der zweiten Stufe haltgemacht hatte! Was hätten sie zueinander gesagt dort oben?
Oder an jenem Morgen, als er Maloin bis zu seinem Haus hinterhergelaufen war und nicht gewagt hatte, ihn anzureden, während Maloin doch bereit gewesen war, ihm den Koffer zurückzugeben!
Und noch am Morgen, in der Hütte, als er die Wurst, die Sardinen und die Pastete gebracht hatte!
Wenn Brown geantwortet hätte – was hätten sie zueinander gesagt? Was hätten sie miteinander ausgemacht? Was wäre hinterher aus ihnen geworden, und was wäre aus den beiden Häusern geworden, dem in Newhaven und dem in Dieppe, mit den beiden Frauen und den Kindern?
»Es hat eben nicht sein sollen«, sagte er halblaut.
»Was hat nicht sein sollen?«
Maloin hatte seinen Anwalt ganz vergessen.
»Nichts«, seufzte er. »Ich denke nach.«
»Ja, eben. Wenn Sie mich fragen, ich glaube, Sie denken zuviel nach.«
Sollte er doch reden.
»Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, ich würde jetzt gern schlafen.«
Das stimmte nicht. Sobald der Anwalt draußen war und im Gang flüsternd ein paar Worte mit dem Wärter wechselte, warf Maloin sich wieder aufs Bett, und er dachte an Brown, an dessen Frau und an das Haus auf der anderen Seite des Kanals, an die Fenster, die abends hell wurden.
Als er zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde, warfen sich ihm seine Frau und seine Tochter schluchzend in die Arme. Er küßte sie und blickte dann auf, als ob er jemanden suchte. Dann ließ er sich gehorsam abführen.
Marsilly, »La Richardière« , Herbst 1933
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