Der Mann, der die Frauen belog - Roman
falsche Richtung.«
Als der Zug hielt, stellte sich heraus, dass der Fahrplan geändert worden war und bestimmte Stationen nicht mehr angefahren wurden. Nicht alle Fahrgäste waren so abgeklärt wie die Frau, die vorhin die Schultern gezuckt hatte. Einige hätten den Fahrdienstleiter am liebsten gelyncht. Als Charles die Treppe hochhastete und ein Straßenschild zu Gesicht bekam, wusste er, dass er meilenweit von seinem Ziel entfernt war, und setzte sich in Trab.
»Sie standen unten am Wasser, als Amanda Sie mit Ihrer Lüge konfrontierte. Einen besseren Scheidungsgrund konnte sich Ihre Frau gar nicht wünschen. Und da hat es bei Ihnen ausgesetzt. Sie haben Amanda am Arm gepackt, sie mit einem Schlag betäubt und dann getötet. Danach sind Sie weggerannt. Wie der Hund.«
»Mein Hund –«
»Sie hatten den Hund mitgenommen. Als Vorwand, um aus dem Haus zu kommen. Während Sie mit Amanda beschäftigt waren, lief er frei herum und verfing sich mit der Leine im Gebüsch. Sie holten den Hund zurück, brachten ihn nach Hause, gingen eine halbe Stunde später noch mal in den Park, schleiften Amandas Leiche ins Unterholz –«
»Aber das können Sie doch nicht –«
»… und bearbeiteten ihre Finger. Sie haben viele dumme Fehler gemacht, Harry.«
Er kam auf sie zu und entfernte sich damit von dem Messer. Gut so. Sie ging in großem Bogen um ihn herum. Der Weg zur Tür war fast frei. Er hob die Hände, die einer Frau den Hals gebrochen hatten. Wieder eine Panikreaktion, Harry? Mallory packte seine ausgestreckte Hand und stellte ihm ein Bein, so dass er schwer zu Boden ging.
Während er noch versuchte, wieder auf seine großen Füße zu kommen, versetzte sie ihm einen Tritt zwischen die Beine, rollte ihn auf den Bauch und zog ihm einen Arm nach hinten, bis er schrie.
»Halten Sie still, dann passiert Ihnen nichts«, fuhr sie ihn an.
Mit der freien Hand griff sie nach der dicken Gardinenschnur und zog daran, bis Vorhang und Vorhangstange am Boden lagen.
Die wimmelnden Passanten hielten ihn immer wieder auf. Warum hatten diese Leute mit dem Umtausch ihrer Weihnachtsgeschenke nicht noch einen Tag warten können?
Charles fiel der Revolver aus der Hand, und eine alte Dame beförderte ihn mit einem achtlosen Tritt zur Seite. Hatte sie über ihrem Turm von Paketen nicht erkennen können, was es war, oder fand sie es in dieser Gegend ganz normal, wenn Handfeuerwaffen auf der Straße herumlagen? Er bückte sich und hob den Colt auf. Jetzt kam er schneller voran, die Passanten behinderten ihn nicht mehr so stark, ja, er hatte sogar den Eindruck, dass sie ihm höflich den Weg frei machten.
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass dieses plötzliche Entgegenkommen möglicherweise mit der Waffe in seiner Hand in Verbindung stand.
Harry Kipling machte, zusammengeschnürt wie ein Paket, eine klägliche Figur. Er war eine klägliche Figur. Ein Jammerlappen, der in kindischer Angst und im Affekt zugeschlagen, danach versucht hatte, seine Spuren mit Wasser und Seife zu tilgen und die Schuld am Tod einer Frau namens Amanda von sich abzuwälzen.
Er war ein enttäuschender und unwürdiger Gegner gewesen, ein so kleines Licht, dass sich nicht einmal der Kater von ihm hatte aus der Ruhe bringen lassen. Knolle schnarchte, während Kipling vor laufender Kamera flennte. Kritisch betrachtete Mallory ihren Gefangenen und ihren Fall, der auf recht schwachen Füßen stand. Eine Attacke auf eine Kriminalbeamtin war kein Beweis für einen Mord. Da lag noch ein tüchtiges Stück Arbeit vor ihr, besonders wenn sie an den zuständigen Staatsanwalt dachte, der bei jedem Fall kniff, für den man ihm nicht einen kompletten Satz von Fingerabdrücken und einen rauchenden Revolver präsentierte.
Aber davonkommen würde Kipling nicht, das hatte sie sich geschworen. »Hören Sie auf zu flennen. Ich habe Ihnen doch gar nichts getan. Was haben Sie mit meiner Kanone gemacht?«
Er heulte weiter, aber damit war ihr schließlich nicht gedient. Sie hob den Kopf, als das Schloss an der Wohnungstür ging. Charles? Das war kaum möglich …
In der Diele stand eine kleine Gestalt, die einen langen Schatten auf den Gang warf.
Hier kam ein würdiger Gegner. Hier kam der Tod persönlich.
Sie sah in die Augen, die den ihren so ähnlich waren. »Mörder spielen macht doch immer noch am meisten Spaß, nicht?«
»Stimmt«, sagte Justin Riccalo und zielte mit Mallorys gestohlener Dienstwaffe auf ihren Kopf. »Nein, halt mal – man soll ja immer auf den breitesten
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