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Mundtot nodrm

Mundtot nodrm

Titel: Mundtot nodrm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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    So heiß war es seit Menschengedenken um diese Jahreszeit noch nie gewesen. Dabei hatte man erst November und die Sonne würde noch vier Wochen brauchen, bis sie an Weihnachten ihren höchsten Stand am Nordhimmel erreichte. Hier, in Coober Pedy, einem gottverlassenen Nest im Outback Australiens, knallte sie schon jetzt gnadenlos von einem wolkenlosen Himmel. Die Menschen, die in dieser Bergwerksansiedlung im Nirgendwo lebten, inmitten einer Stein- und Sandwüste, verkrochen sich in ihren kleinen Häuschen oder suchten Schutz in kühlen unterirdischen Hohlräumen, den Wohnhöhlen, die man hier ›dugouts‹ nannte. Sie waren teilweise willkommene Folge des Edelstein-Abbaus. Coober Pedy galt als die ›Opal-Hauptstadt der Welt‹.
    Dass es Maximilian Greenman, wie er sich hier nannte, in dieses Minenstädtchen am anderen Ende der Welt verschlagen hatte, war einem Zufall zu verdanken. Als es in den frühen neunziger Jahren in Mitteleuropa immer weniger Jobs für echte Bergbau-Spezialisten gab, hatte er dem lukrativen Angebot aus Australien nicht widerstehen können. Nirgendwo sonst hätte er als Ingenieur ein solches Gehalt geboten bekommen – plus all die steuerfreien Vergünstigungen, die es für lange Auslandsaufenthalte gab. Da erwies es sich letztlich als Glücksfall, dass mit dem Verlust seiner letzten Arbeitsstelle in Österreich auch eine Freundschaft in die Brüche gegangen war. Er hatte darin die Gelegenheit gesehen, im Alter von damals 28 Jahren ein neues Leben zu beginnen. Inzwischen fühlte er sich in dieser Einöde wohl, hatte jede Menge Freundschaften geschlossen und war als ›Max from Germany‹ allseits beliebt.
    Er hatte sich in einem der kühlen Hohlräume, unweit der Mine, für die er verantwortlich war, ein großzügiges Büro eingerichtet. Seit es auch hier draußen Internet gab, genoss er es, auf diese Weise mit den verbliebenen Freunden in Österreich und Deutschland zu kommunizieren – vor allem aber mit einer Frau, die er bei seiner letzten Reise in die Heimat kennengelernt hatte. An Liebe auf den ersten Blick mochte er zwar nicht mehr glauben, aber sie musste sich so ähnlich anfühlen wie das Gefühl, als er diese Frau bei einer Party mit Freunden in einem Schwabinger Lokal getroffen hatte. Viel zu schnell waren die verbleibenden drei Urlaubswochen danach verflogen. In den Folgemonaten hatten sie unzählige E-Mails geschrieben und stundenlang telefoniert – meist über Skype, um sich wenigstens am Bildschirm von Angesicht zu Angesicht sehen zu können. Einmal war sie sogar schon hier gewesen und hatte die beschwerliche Fahrt vom 840 Kilometer entfernten Adelaide über den Stuart Highway durchs Outback auf sich genommen. Es waren traumhafte zwei Wochen gewesen. Und jetzt konnte er es kaum erwarten, sie an Ostern bei einem Heimaturlaub hautnah spüren zu dürfen. Sie hatte ihm zwar angedeutet, dass sie in den nächsten Monaten beruflich sehr eingespannt sein würde, doch waren sie beide davon überzeugt, genügend Freiräume zu haben. Seine Gedanken verselbstständigten sich, ließen Bilder und all die köstlichen Stunden lebendig werden und ihn vergessen, dass er in einem unterirdischen Büro saß, als ob er das Tageslicht fürchtete. Dabei war es nur die allgegenwärtige Hitze, vor der die Menschen flüchteten. Sein Blick fiel auf ein großformatiges Aquarell, das ihm gegenüber an der rau verputzten Wand hing. Er hatte es selbst gemalt, vor langer Zeit, nach einem Postkartenmotiv. Es zeigte das Ulmer Münster. Eigentlich war Ulm nicht seine Heimat, aber inzwischen war ihm bewusst geworden, dass sich mit der Entfernung auch die Dimensionen verschoben. Aus australischer Sicht waren all die Orte, an denen er bisher gelebt hatte, so etwas wie Heimat – und dazu zählte er Deutschland und Österreich. Was waren schon ein paar Hundert Kilometer, die, gemessen an australischen Entfernungen, eher einem Katzensprung entsprachen? In diesem Moment riss ihn der Klingelton seines Telefons aus den Gedanken. Er wandte den Blick vom Ulmer Münster, mit dem er viele Erinnerungen verband, und erkannte eine wohlvertraute Nummer auf dem Display. Es war ein Handy-Anschluss in Deutschland. Augenblicklich beschleunigte sich sein Puls. »Hallo, einen wunderschönen Guten Abend ins kalte Deutschland«, sagte er und lehnte sich in seinem Bürosessel zurück.
    »Hey, Max«, hörte er die Frauenstimme, die er erwartet hatte. »Ich mach’s kurz.« Mit einem Schlag begann sein Puls noch mehr zu rasen. So

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