Der Mann, der die Frauen belog - Roman
Kumpels«, sagte der Schichtleiter und röhrte »489« ins Megaphon.
»Ich will sie sprechen. Alle acht.«
»Hör mal, Schätzchen, ich bin immer dabei, wenn die Polizei mich um Hilfe bittet, aber –«
»Sie verstehen mich falsch. Das war keine Bitte. Holen Sie die Leute!«
Der Schichtleiter war es offensichtlich nicht gewöhnt, sich von einer Frau Vorschriften machen zu lassen. Wie ein beißfreudiger Pitbullterrier drehte er sich um, machte den Mund auf – und klappte ihn ziemlich plötzlich wieder zu. Vielleicht war ihm eingefallen, dass er seine Kanone zu Hause gelassen hatte.
Er räusperte sich und blaffte acht Namen ins Megaphon. Die Männer kamen mit Stift und Klemmbrett, verschwitzt, neugierig und dreckig grinsend aus den Gängen gekrochen und stellten sich in lockerer Reihe auf.
Mallory musterte sie wie ein Sklavenhändler seine Ware. Unter ihrem Blick verflüchtigte sich das Grinsen, und Beklommenheit machte sich breit. Füße scharrten, beredte Blicke wurden gewechselt. Einem, der mehr schwitzte als die anderen und dessen Adamsapfel auffallend lebhaft hüpfte, galt Mallorys besonderes Interesse. Der Junge mit den roten Haaren und den Sommersprossen zog den Kopf ein wie eine Schildkröte, und durch den dünnen Stoff des T-Shirts sah man, wie angespannt sein Körper war.
Mallory wechselte einen Blick mit Riker, hob fast unmerklich das Kinn und wandte sich wieder dem Rotschopf zu. Riker schlug einen Bogen nach rechts. Als Mallory einen Schritt vortrat, zuckte der Junge zusammen, dann setzte er sich in Bewegung. Riker langte nach seinem T-Shirt und griff daneben, aber Mallory war ihm schon auf den Fersen, und Riker lief in der Staubwolke, die sie aufwirbelte, hinter ihr her.
»Jimmy«, brüllte der Schichtleiter. »Jimmy, du Arsch, komm zurück. Es ist doch bloß ’ne getragene Sportjacke.«
Aber das hörte Jimmy schon nicht mehr.
So schnell war Jimmy Farrow noch nie vor den Bullen weggerannt. Dabei hatte er auf diesem Gebiet einschlägige Erfahrungen. Er warf einen raschen Blick über die Schulter. Der alte Cop war schon rot angelaufen, aber der Atem der Frau, die inzwischen bis auf einen Meter herangekommen war, ging nicht schneller als normal. Unter dem offenstehenden Blazer sah man die schwere Smith & Wesson.
Herrgott, grinste sie sich eins? Tatsächlich …
Blöde Schwalbe!
Er wurde und wurde sie nicht los. Nicht in den schmalen Durchgängen, nicht beim Sprinten über die breite Houston, nicht bei dem gekonnten Satz über eine Hofmauer im West Village.
Er machte den Sprung seines Lebens, bekam die Sprossen einer Feuerleiter zu fassen, hievte sich hoch und fing an zu klettern. Auf dem nächsten Absatz spähte er durch den Gitterrost nach unten. Keine Spur von der Frau.
Als er hochblickte, packte ihn jemand an den Haaren und riss ihm den Kopf nach hinten.
Verdammt, wo kam denn die jetzt her?
Ein Tritt in die Kniekehlen brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er fiel hin und rollte bis an den äußersten Rand des Rosts. Und plötzlich hing er mit fuchtelnden Armen und mit dem Kopf nach unten drei Stockwerke über der Straße. Er schielte nach oben. Die Frau kniete auf seinen Beinen und hielt ihn an den Jeans fest. Er hörte auf zu zappeln. Wenn sie losließ, war alles aus.
»Du hast also den Kaschmirblazer geklaut und –«
Sie nahm den Druck von seinen Beinen und ließ ihn tiefer hinunter.
»Was denn, wegen dieser dämlichen Jacke –«
»Du hast sie geklaut, stimmt’s?«
Das Pflaster kam noch zehn, zwanzig Zentimeter näher. Kalter Wind umwehte seinen verschwitzten Körper. Er erschauerte.
»Also gut, ich war’s. Und jetzt?«
»Hat der Fummel ihr nicht gefallen?«
Bescheuerte Tucke. Was will sie eigentlich?
»Klar hat er ihr gefallen. Sehr sogar.«
Vielleicht hing er gar nicht verkehrt herum, sondern die ganze Welt stand kopf? Der alte Cop hatte sich jetzt die Leiter geschnappt, legte sie an und kletterte ganz gemütlich nach oben. Als wären Typen, die kopfüber von einem Gitterrost hingen, ein alltäglicher Anblick für ihn.
Scheißcops.
»Mach mich nicht schwach, Mallory«, flehte Riker. »Das kann mich bei Coffey den Kopf kosten.«
»Mit Coffey werde ich schon fertig.«
»Wenn du jetzt loslässt, kommen wir vor lauter Papierkrieg drei Tage nicht mehr zum Arbeiten.«
Sie lockerte ihren Griff, und Jimmy Farrow rutschte noch ein Stück tiefer.
»Okay, okay«, jammerte er. »Ich hab doch schon gesagt, dass ich es war. Zieh’n Sie mich rauf!«
Vier unsanfte Hände holten
Weitere Kostenlose Bücher