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Mondscheingeflüster

Titel: Mondscheingeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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    Die junge Stute hatte schreckgeweitete Augen, aus denen sie unruhig, fast hysterisch, um sich blickte. Sie schwitzte heftig, das Fell am Hals war schwarz vor Nässe. Immer wieder stampfte sie mit den Füßen, ließ ein leises, verzweifeltes Wiehern hören. Ganz offensichtlich litt sie unter heftigen Schmerzen. Wer den unförmig geschwollenen Leib betrachtete, wusste: Die braune Lucia mit dem schönen weißen Stern auf der Stirn hatte eine schlimme Kolik.
    In der Eulenburg, dem Ferien-Reiterhof an der Nordsee, brannten in dieser kühlen Aprilnacht alle Lichter. In Windeseile hatte es sich bei den jugendlichen Gästen, die ihre Osterferien hier verbrachten, herumgesprochen, dass eines der Pferde erkrankt war, und natürlich mochte jetzt niemand mehr schlafen. Alle hatten sie hinüber in den Stall gewollt, aber Frau Andresen, die Besitzerin des Hofes, hatte sie sofort abgefangen und zurückgeschickt.
    »Bitte, legt euch wieder in eure Betten. Es geht Lucia sehr schlecht, aber sicher dreht sie vollkommen durch, wenn sich plötzlich eine Schar aufgeregter Menschen vor ihrer Box drängelt. Seid vernünftig. Wir tun alles, was wir können. Der Tierarzt muss gleich kommen.«
    Im Stall waren jetzt nur Frau Andresen, ihr Sohn Tom und Pat, eines der Mädchen, das hier zu Besuch war. Pat zählte schon zu den Stammgästen, und seit über einem Jahr war sie mit Tom eng befreundet. Sie verstand sehr viel von Pferden und konnte wunderbar mit ihnen umgehen. Jetzt hatte sie eine Hand ganz leicht auf Lucias Nase gelegt und redete leise auf sie ein. Tatsächlich wurde die Stute etwas ruhiger. Aber dann versuchte sie - zum dritten Mal in den vergangenen fünf Minuten -, die Beine einknicken zu lassen und sich hinzulegen. Tom konnte sie gerade noch daran hindern. Lag sie erst, würde es äußerst schwierig sein, sie wieder aufzustellen, er wusste, dass sich ein Pferd mit Kolik niemals und unter keinen Umständen hinlegen darf.
    »Wir gehen jetzt doch hinaus«, bestimmte Pat, »und führen sie im Hof herum. Sie muss sich bewegen. Wo ist denn ihr Halfter?«
    Frau Andresen gab es ihr. Sie sah blass und verärgert aus.
    »Ich werde Klaus gleich morgen früh entlassen«, sagte sie. »Es reicht mir jetzt. Die ganze Zeit schon bringt er hier alles durcheinander, aber das ist jetzt wirklich der Gipfel. Und bezeichnenderweise ist er nicht einmal zur Stelle!«
    Klaus war ein junger Mann aus dem nahen Dorf, ein netter, aber vollkommen unzuverlässiger und leichtsinniger Bursche, der keinen Job länger als eine Woche behielt. Seine Mutter hatte sich bei Frau Andresen in der Eulenburg für ihn eingesetzt und tatsächlich erreicht, dass er dort probeweise als Pferdepfleger eingestellt wurde. Seitdem klappte hier nichts mehr. Klaus erschien entweder überhaupt nicht zur Arbeit, oder er tat völlig andere Dinge als die, die ihm aufgetragen waren. Er wollte eigentlich nichts Böses anstellen, aber alles, was man ihm sagte, ging zum einen Ohr hinein, zum anderen hinaus, und er konnte sich nichts merken. Frau Andresen hatte ihm hundertmal gesagt, dass Lucia zu Koliken neigte und nur ganz wenig Gras bekommen durfte, aber bevor er heute auf seinem Motorrad in die Disko abgebraust war, hatte er die ganze Futterkrippe überquellend mit Gras gefüllt, mit frischem Frühlingsgras, das zudem noch feucht war. Wahrscheinlich hatte er es auch noch gut gemeint, denn er liebte Pferde und fütterte sie grundsätzlich zu üppig.
    Bei aller Sympathie für den liebenswerten und leichtsinnigen jungen Mann, das musste ein Ende haben!
    Es war Pat gelungen, Lucia das Halfter überzustreifen. Das Pferd zitterte jetzt am ganzen Körper, schien aber Tom und Pat zu vertrauen. Jedenfalls ließ es willig alles mit sich geschehen. Frau Andresen, die die beiden jungen Leute beobachtete, dachte, wie gut sie doch zueinander passen und wie gut sie sich verstehen. Tom war vor wenigen Tagen sechzehn geworden, er sah schon sehr erwachsen aus und benahm sich meistens auch so. Viele der weiblichen Feriengäste verliebten sich in ihn, aber er sah nur Pat. Sie war ein knappes Jahr jünger als er und so zierlich und klein, dass sie ihm gerade bis zur Schulter reichte. Pat ließ sich von niemandem etwas vorschreiben und reagierte mit wütendem Trotz auf jeden Versuch, sie in irgendeiner Form einzuengen oder zu gängeln. Nur Tom konnte manchmal bei ihr etwas erreichen; auf ihre spröde, eigensinnige Art hing sie sehr an ihm. Ihre unverbrüchliche Treue gegenüber Lebewesen, die sie sich einmal

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