Der Mann, der die Frauen belog - Roman
und nassem Holz. Ein Hund rannte hinter dem Jungen her. Hund und Kind bogen vom Weg ab, zogen eine neue Spur durch den frisch gefallenen Schnee des Hügels und waren wenig später schon nicht mehr zu sehen.
»Ja, richtig, der Hund … Den Hügel dort ist ein Hund hochgerannt und hat sich mit der Leine im Gestrüpp verfangen. Eigentlich komisch, ein Hund ohne Herr, aber mit Leine. Die Leute lassen ihre Hunde oft frei im Park herumlaufen, obwohl es verboten ist.«
»Ich möchte Sie mit jemandem bekanntmachen«, sagte der Mann, und inzwischen fand sie sein närrisches Lächeln ganz sympathisch.
Der Portier blätterte in einer abgegriffenen Liste, erklärte, die Gesuchte sei nicht da, und lud die beiden dann mit beflissenem Lächeln ein, in der Halle auf Miss Mallory zu warten.
»Setz dich, Mallory, und halt verdammt noch mal den Mund.« Zu Coffeys Verblüffung gehorchte sie widerspruchslos.
»Dass du mir nie wieder so einfach rausläufst! Du hast mir schon genug Ärger gemacht. Für Widersetzlichkeiten hab ich Riker, ist das klar? Der mag es nicht, wenn man ihm ins Handwerk pfuscht.«
»Ich denke nicht daran, mit Palanski zu arbeiten.«
»Sollst du auch nicht. Aber das ist meine Entscheidung. Und jetzt zu dem kleinen Gefallen, um den ich dich gebeten hatte. Hast du mir die Unterlagen besorgt?«
Im Klartext: Hast du das Zeug für mich geklaut?
Schweigen. Das konnte er nun auslegen, wie er wollte. Das Spiel lief jetzt nach Mallorys Regeln.
»Hoffentlich machst du es diskret.«
Lass dich bloß nicht erwischen.
Schweigen.
»Ich hab den Eindruck, dass Palanski viele Überstunden macht.« Der Mann kassiert ab.
Sie nickte. Coffey fasste wieder Mut.
»Sobald er irgendwo Geld riecht, ist er da. Als die Leiche im Park auftauchte, hatte er seinen freien Tag. Entschuldige, Mallory, ich erzähle dir Sachen, die du schon weißt …«
Mit leiser Genugtuung registrierte er das ärgerliche Zucken um ihre Mundwinkel. »Hast du die Unterlagen mitgebracht?«
»Die brauchen dich nicht zu interessieren.«
»Mallory –«
»Markowitz hat nie einen Kollegen hochgehen lassen.«
»Jetzt halt mal die Luft an. Gewiss, ich bin kein Markowitz, aber du könntest auch noch das eine oder andere von ihm lernen. Markowitz hat an Informationen genommen, was er kriegen konnte. Von überall und von jedem. Als Einzelkämpfer kommt man bei uns nicht weit. Irgendjemand in den Coventry Arms hat Palanski einen Tipp gegeben. Vielleicht war es dein Täter, vielleicht ist es auch eine ganz andere Sache, aber wenn ich die undichten Stellen stopfen soll, muss ich wissen, was mit Palanski ist.«
Sie kreuzte die Arme über der Brust. »Palanski übernehme ich.« Kleine Pause. »Wenn du möchtest …«
Es war allenfalls ein Etappensieg.
»Meinetwegen.« War er von allen guten Geistern verlassen, dass er ihr in Sachen Palanski freie Hand ließ? »Dass du nichts unternimmst, womit Markowitz nicht einverstanden gewesen wäre.«
»Gemacht.«
Später, auf der Toilette, sah er im Spiegel über dem Waschbecken ein Gespenst. Markowitz. Nein, nicht Markowitz, sondern Jack Coffey, der sich, wie vor ihm der Inspektor, ständig fragen musste, was Mallory wohl gerade anstellte und wie viel davon auf ihn zurückfallen würde. Der Balanceakt am Rande der Legalität war zur Routine geworden.
Wenn es um Mallory ging, war er sehr leicht verführbar.
Er würde sie umbringen. Klarer Fall. Aber erst würde er ein bisschen Spaß mit ihr haben, würde ihr gründlich und mit Genuss heimzahlen, dass sie ihn gequält hatte.
Wenn er sich mit ihr beschäftigte, ging eine heiße Welle durch seinen ganzen Körper und durch sein Hirn. Dann waren es ihre Augen, die er vor sich sah, die hellen Lichter eines drohenden Unglücks, rücksichtslos, gnadenlos heranbrausend, niemand am Steuer, keine Möglichkeit zu bremsen.
Und jedes Mal war er ausgepumpt, gedemütigt, wütend nach diesem Moment hilfloser Angst und Panik. Die Hände ballten sich zu Fäusten, die Nägel hinterließen rote Male in den Handballen. Eines dieser Male füllte sich mit Blut.
Er sah auf die Wunde. Das hatte sie ihm angetan. Sie hatte Blut fließen lassen, und das würde ihr noch leidtun.
Eine dicke graue Taube stolzierte vor dem geöffneten Fenster auf und ab. Er zerkrümelte eine Scheibe Brot und streckte die Hand aus, um die Krümel aufs Fensterbrett zu legen.
Die Taube fuhr kurz zusammen, legte den Kopf schief und sah ihn aus einem Auge an. Als gassenschlaue Stadtbewohnerin hatte sie keine Angst vor
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