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Der Mann, der die Frauen belog - Roman

Titel: Der Mann, der die Frauen belog - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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bis zu der Stelle, an der laut Hellers Plan der Mord geschehen war, und sah sich um. Bisher hatte er nichts erfahren, was Mallory nicht auch aus Hellers Skizze hätte erfahren können. Die Stelle war vom Weg aus deutlich einzusehen. Das passte zu Mallorys Theorie, dass es sich um eine spontane Tat gehandelt hatte. Für einen heimlichen Mord war die Deckung zu dürftig.
    Am Mordtag hatte es geregnet. Bei Schnee und Regen waren nur wenige Fußgänger unterwegs, das aber waren Unverdrossene, die bei jedem Wetter aus dem Haus gingen. Er sah zu dem Hochhaus am Central Park West hinauf, dessen obere Stockwerke die kahlen Wipfel überragten und wo vielleicht in diesem Moment Mallory aus einem Fenster sah.
    Er ging um den Seitenarm des Sees herum bis zu dem Weg, auf dem die Bänke standen, setzte sich und wartete.
    Fast hätte er sie übersehen. Der Schnee blendete, und er hatte Mühe, in dem weißen Umfeld das weiße Gesicht und das weiße Haar unter dem weißen Wollcape zu erkennen.
    Cora zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht.
    Zu spät.
    Der Mann hatte ihre Tarnung durchschaut. Er war sehr groß, aber seine Haltung hatte nichts Bedrohliches. Sie kniff die Augen zusammen. Seine Züge wurden deutlicher, je näher er herankam.
    Das freundlich närrische Lächeln wies ihn als einen der vielen harmlosen Irren aus, die ziellos durch den Park streiften. Nein, von dem drohte ihr keine Gefahr.
    Sie wühlte sich durch die übereinandergezogenen Pullover bis zu den tiefen Taschen ihrer weißen Wollhose durch.
    »Entschuldigen Sie bitte …« Der Mann beugte sich vor, damit ihm der Wind nicht die Worte entriss, aber diese Vorsichtsmaßnahme war überflüssig: Sie las ihm die Worte von den Lippen ab.
    Jetzt hatte sie die Münzen gefunden und streckte sie ihm hin. »Hier, guter Mann … Aber Sie müssen mir versprechen, keinen Schnaps dafür zu kaufen.«
    »Nein, danke. Ich will kein Geld …«
    Ihr Misstrauen erwachte wieder. Kein Geld? Dann war er nicht nur verrückt, sondern womöglich doch gefährlich. Sie wandte sich ab. Er vertrat ihr den Weg, hielt aber höflichen Abstand. Seine Haltung hatte etwas Entschuldigendes, sein Blick war närrisch und hoffnungsvoll zugleich. Seltsame Augen hatte er, mit einer kleinen Iris und zu viel Weiß drumherum.
    Ein Verrückter, kein Zweifel.
    »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte er. »Es handelt sich um etwas, was hier am neunzehnten Dezember passiert ist.« Er deutete auf das Ufer und die Stelle vor der dunklen Wasserfläche, wo die zerrissenen gelben Bänder im Wind wehten. Ehe er weitersprach, wandte er ihr wieder das Gesicht zu. Demnach hatte er schon begriffen, dass sie ihm von den Lippen las. Der Mann war nicht dumm.
    »Waren Sie an dem Vormittag zufällig auch spazieren?«
    Das klang durchaus vernünftig. Er sprach wie ein gebildeter Mensch. Kein Slang, keine Schludrigkeiten. Und tadellose Manieren.
    »Ja, junger Mann, an dem Vormittag war ich auch spazieren.«
    »Haben Sie zufällig dort drüben einen Mann und eine Frau stehen sehen?«
    Er meinte offenbar die beiden Verliebten, das Jeansmädchen und den Großen mit dem Regenschirm. Sie hatte das seltsame Gefühl, die beiden in Schutz nehmen zu müssen. Was hatte er sich in ihre Privatangelegenheiten zu mischen?
    »Warum fragen Sie?«
    Als er mit seiner Erklärung fertig war – dass nämlich das vermeintliche Liebespaar ein Mörder und sein Opfer gewesen waren –, zitterten ihr die Knie. Er geleitete sie fürsorglich zur nächstgelegenen Bank, wischte mit einer rührend ritterlichen Geste den Schnee ab, setzte sich neben sie und musterte sie besorgt.
    Sah er ihr die Horrorvision an, die ihr vor Augen stand? Sie hatte die Verletzung des Jeansmädchens für eine Blume gehalten. Wie töricht! Eine Rose im Winter? Warum hatte sie nicht gemerkt, dass die junge Frau sterben sollte? Vielleicht hätte sie …
    Ganz recht … Wäre sie nicht so dumm gewesen, ohne Brille und Hörhilfe aus dem Haus zu gehen, hätte sie, so wie sie mit einer Handbewegung den Käfer vor der Spinne gerettet hatte, vielleicht ein Menschenleben retten können.
    Ein Käfer hatte überlebt, eine Frau musste sterben.
    Es tut mir so leid, Jeansmädchen …
    Er berührte leicht ihre Hand, damit sie ihn ansah und er die nächste Frage stellen konnte. War ihr sonst noch etwas aufgefallen? Nein. Sie hatte sich ganz auf das Liebespaar konzentriert.
    Ein flüchtiger Schatten zog an ihr vorbei – rote Mütze und Jacke, strampelnde Hosenbeine, umweht von dem Geruch nach Kaugummi

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