Der Mann, der Donnerstag war
Strohhut und wirkungsvoll gegen die violette See aufgestellt ...
Das zehnte Kapitel
Das Duell
Syme nahm an einem Kaffeetisch mit seinen Gefährten Platz. Seine blauen Augen funkelten wie die lichte See da unten. Und er bestellte eine Flasche Saumur mit einer frohen Ungeduld. Er befand sich mit einigem Grund in einer solchen seltsam heiteren Gemütsverfassung. Sein Genius schwebte schon unnatürlich hoch, und stieg immer noch höher – genau in dem Maße, in dem der Saumur in der Flasche sank; und binnen einer halben Stunde war seine Rede ein reißender Strom des Unsinns. Er erklärte, er arbeite soeben einen vollständigen Plan aus von der Unterhaltung, die zwischen ihm und dem fürchterlichen Marquis vor sich gehen sollte. Und er brachte sie hastend mit einem Bleistift zu Papier. Und sie war arrangiert – wie ein gedruckter Katechismus, mit Frage und Antwort; und da haspelte er sie auch schon laut herunter.
»Ich komme also auf ihn zu. Eh er noch seinen Hut zieht, hab ich schon den meinigen gezogen. Ich sage: ›Herr Marquis de Saint Eustache, wenn ich mich nicht irre.‹ Er antwortet: ›Der berühmte Mr. Syme, so ich recht sehe.‹ Dann erkundigt er sich in exquisitestem Französisch: ›Wie gehts, wie stehts?‹ Und ich versetzte im reinen Londoner Dialekt: ›Nicht mehr so oft wie früher –‹«
»Aufhören! Maul halten!« sprach der Mann mit den Brillen. »Nehmen Sie sich doch zusammen – schmeißen Sie den Wisch weg! Und sagen Sie nu mal ernsthaft, was Sie tun werden?«
»Aber das war doch ein wunderschöner Katechismus!« sprach Syme pathetisch. »Lassen Sie mich ihn vorlesen. Er hat doch nur dreiundvierzig Fragen und Antworten, und einige von den Antworten des Marquis sind wahnsinnig witzig. Ich bin meinem Feind gegenüber stets gerecht.«
»Aber wozu soll denn das taugen?« fragte Dr. Bull verzweifelt.
»Zu meiner Herausforderung doch! Verstehen Sie denn nicht?« sprach Syme – und strahlte vor Freude. »Wenn der Marquis die neununddreißigste Antwort gegeben hat, die folgendermaßen lautet –«
»Ist Ihnen bei alledem niemals – aus purem Zufall etwa – irgendwie der Gedanke gekommen«, fragte der Professor da mit einer erdrückenden Selbstverständlichkeit, »daß der Marquis von den dreiundvierzig Dingern, die Sie ihm zugeschrieben haben, das eine oder andere, sagen wir, nicht mehr wissen, mithin also vergessen haben könnte? In diesem Falle, denke ich, möchten Ihre eigenen Epigramme sich denn doch ein wenig allzu gekünstelt anhören.«
Syme schlug auf den Tisch und strahlte fast ein wenig zu viel vor Freude. »Wie wahr – ach wie so wahr, so wahr das ist! Und ich hab nicht einen einzigen Augenblick daran gedacht! Mein Herr, Ihr Verstand erhebt sich über das Durchschnittsmaß ... Sie werden sich noch einen Namen machen.«
»Oh – Sie sind besoffen wie 'n Nachtwächter!« sprach der Doktor.
»Da bleibt mir nichts anderes übrig«, fuhr Syme unbeirrt fort, »hm – da muß ich nun also eine andere Methode finden, wie das Eis (wenn ich mich so ausdrücken darf) zwischen mir und dem Mann, den ich töten will, zu brechen sein wird. Und da ja der Gang einer Unterhaltung nicht von einer der beiden Parteien allein vorausgesagt werden kann (wie Sie mir ebenso scharfsinnig wie tief gerade dargelegt haben), ist (so vermute ich wenigstens) die einzige Möglichkeit für die eine der beiden Parteien diese: in ihrem vorgefaßten Dialog ihrerseits wenigstens so weit wie möglich zu gehen. Na – und das will ich, beim Heiligen Georg! das will ich –« Und er stand jählings auf, und sein gelbes Haar wehte in der schwachen Brise.
Eine Künstlerbande spielte in einem Cafe chantant verborgen irgendwo unter den Bäumen; und ein Frauenzimmer hatte just mit Singen aufgehört. In Symes überheiztem Schädel war das Schmettern der Blechinstrumente ganz wie der Singsang der Leierkasten von Leicester Square, zu dessen Lied er einst aufstand und sterben wollte. Er sah nach dem kleinen Tisch hinüber, an dem der Marquis saß. Dem leisteten eben zwei Herren Gesellschaft, zwei Ehrfurcht erweckende Franzmänner in langen Gehröcken und mit Seidenhüten, der eine der beiden mit der roten Rosette der Ehrenlegion – zwei Leute von solider gesellschaftlicher Position augenscheinlich. Neben diesen schwarzen, noch obendrein bezylinderten Erscheinungen nahm sich der Marquis mit seinem leichten Strohhut und seinen lichten Sommerkleidern wie ein Bohème – ja geradezu barbarisch aus. Und sah sich doch wie ein
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