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Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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zusammengeraten. Und einen Augenblick später arbeiteten sich vier Männer aus einem Chaos von Metallteilen heraus – und eine hohe, schlanke Straßenlaterne, die just am Ausgang auf die Strandpromenade stand, bog sich und zersplitterte, wie ein Ast an einem gefällten Baum.
    »Wahrhaftig! Wir haben etwas umgefahren!« sprach der Professor und lächelte ein wenig. »Doch wenigstens etwas umgefahren! Das ist ein Trost...!«
    »Sie werden ja mit einemmal zum Anarchisten!« warnte Syme und klopfte derweil mit seiner Vorliebe für Eleganz seinen Anzug aus.
    »Jedermann ist es!« sprach Ratcliffe.
    Wie sie noch sprachen, kamen der weißhaarige Reitersmann und sein Gefolge donnernd hinterhergesprengt, und fast denselbigen Augenblick lief eine Kette dunkler Gestalten unter Freudengeschrei unten am Strand hin. Syme ergriff seinen Säbel und nahm ihn zwischen die Zähne; nahm einen zweiten und einen dritten je unter eine Achsel, den vierten in seine Linke und die schmiedeeiserne Laterne in seine Rechte und lief, was er laufen konnte, über die Promenade zum Strand hinab.
    Die andern liefen dem also Resoluten blindlings nach, den Trümmerhaufen und den die Trümmer aufräumenden Mob lassend, wo sie bleiben mochten.
    »Es gibt noch einen Ausweg«, sprach Syme und nahm den einen Degen aus seinem Mund. »Was der Höllentanz auch bedeuten mag – die Polizeistation, denk ich, wird uns zu Hilfe kommen. Wir können aber nicht nach der Gendarmerie – denn der Weg dahin ist besetzt. Aber hier gerade vor uns geht ein Wellenbrecher oder eine Mole auf die See hinaus – ein Ding, das wir länger als alles andere verteidigen können – – denken Sie an Horatius und seine Brücke. Wir müssen das eben so lange verteidigen, bis Gendarmerie da ist. Mir nach!«
    Sie folgten ihm, wie er knirschend über die Strandkiesel lief, aber nach einer Sekunde oder zwei blieben ihre Stiefel schon nicht mehr im Sande stecken, sondern glitten über breite, flache Steine. Und so liefen sie allzusammen einen langen, niedrigen Damm hinaus, einen ausgereckten Arm in die dunkle kochende See, und als sie ganz draußen am Ende angelangt waren, wars ihnen gerade, als wären sie zugleich am Ende ihres Dramas angelangt. Und sie wandten sich um und blickten auf die Stadt zu.
    Die Stadt war vor Aufruhr ganz verwandelt. Die hochliegende Strandpromenade, über die sie eben herabgelaufen waren, war überschwemmt von dunklen und brüllenden Gestalten, die mit wildgeschwungenen Armen und feuerroten Gesichtern durcheinandertappten und zu den vieren hinüberglotzten. Und die ganze lange dunkle Linie war punktiert mit Fackeln und Laternen. Und wo kein Licht war, leuchtete doch ein wutentflammtes Gesicht – und mochte der Betreffende noch so weit weg und die Gebärde, die er machte, noch so sehr im Schatten sein: alles, alles das war bestorganisierter Haß. Und den vieren war absolut klar, daß sie von allen Leuten verwünscht und verflucht würden; nur wußten sie nicht im mindesten – warum.
    Zwei oder drei Männer, die so klein und dreckig wie Gassenbuben aussahen, sprangen nun über die Promenade herab, so wie vorerst die vier getan hatten, und auf den Strand heraus. Gerieten dabei tief in den Sand und kreischten scheußlich dazu auf – ja wateten, verrückt genug, bis in die See hinein. Und ihr Beispiel fand Nachahmung, und die ganze schwarze Masse von Leuten wälzte sich – wie schwarzer Sirup, auf den Strand herab.
    Zuvorderst aber gewahrte Syme den Bauersmann, der sie eine Strecke auf seinem Karren gefahren hatte. Der spritzte auf seinem riesigen Karrengaul hochauf in die Brandung – und schüttelte mit seiner Axt herüber.
    »Der Bauer!« rief Syme. »Seit dem Mittelalter haben die Bauern nicht mehr rebelliert –«
    »Jetzt darf ruhig die Polizei ankommen«, sprach der Professor in einem kläglichen Ton, »gegen so ne Menge Mob kann sie nichts machen ...«
    »Blödsinn!« sprach Bull verzweifelt, »ein paar Leute müssen doch noch in der Stadt geblieben sein, die menschlich fühlen.«
    »Nein«, sprach der Inspektor hoffnungslos, »alle wahren Menschen werden bald ganz vergriffen sein. Wir sind die letzten Exemplare der wahren Menschheit.«
    »Mag sein«, bemerkte der Professor geistesabwesend. Dann setzte er in träumerischem Tonfall hinzu – »Das Ende der Dunciade?
    Nicht auf offenem Platz, noch im Kämmerlein traut sich's Licht mehr. Nicht ird'scher, nicht göttlicher Schein!
    Chaos, dein Reich ist neu erricht't; auf dein unschöpf'risch Wort fällt

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