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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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gehörte nicht in unser Nachkriegsleben. Es blieb weggeschlossen.
    In meiner Umgebung war niemand, der es wirklich wissen wollte, und es gab nur wenige Gelegenheiten, darüber zu reden. Wenn ich gefragt wurde, konnte ich nicht antworten. Ich hatte nicht am eigenen Leib erdulden müssen, was ein echter Überlebender des Holocaust hinter sich bringen musste. Ich war Zeuge einiger der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte geworden, aber sie waren nicht an mir verübt worden. Was konnte jemand von uns Nichtjuden also schon erzählen? Wo passten wir hinein?
    Mittlerweile war Ernst nur eines unter vielen ausgezehrten Gesichtern vor meinem inneren Auge, Männer, an deren Tod sich vielleicht niemand mehr erinnerte. Doch etwas regte sich. Nicht in meinem Innern, noch nicht, aber außerhalb. Die Öffentlichkeit wusste mittlerweile vom Holocaust, von den Gaskammern und Krematorien. Die schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern waren schon Jahre zuvor in Dokumentarsendungen gezeigt worden. Die Zuschauer hatten sich an die Bilder gewöhnt und sahen die Opfer schon nicht mehr als Individuen, als Menschen.
    Jetzt aber war es anders geworden. Die Aufmerksamkeit verlagerte sich von den Gaskammern zu den Zwangsarbeitsprogrammen der Nazis. Die Opfer, die ich gesehen hatte, waren weniger als Sklaven gewesen. Während ein Sklave für seinen Eigentümer einen gewissen Wert besaß, war die Arbeit, die KZ -Häftlinge an Orten wie den Buna-Werken der IG Farben hatten verrichten müssen, vor allem eine Mordmethode gewesen. Radio- und Fernsehberichte, die sich mit ihren Erlebnissen beschäftigten, wurden häufiger.
    Im September 1999 las ich in der Times einen Artikel über einen jüdischen Überlebenden der Auschwitzer Buna-Werke namens Rudy Kennedy, der ursprünglich Karmeinsky geheißen hatte. Er war mehrmals im Radio und im Fernsehen gewesen und führte einen Feldzug für die Entschädigung der Opfer in den Zwangsarbeitslagern der Nazis. So eigenartig es war, der Gedanke, dass ich ihn vielleicht kannte und dass wir womöglich auf der IG -Farben-Baustelle Seite an Seite gearbeitet hatten, ließ mich nicht mehr los. Ich versuchte ihn über die Zeitung zu kontaktieren, aber nichts geschah.
    Einige Überlebende machten mittlerweile ihrem Zorn Luft wie nie zuvor. Allmählich zeigte es Wirkung. Im August 2000 richteten die deutsche Regierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nach jahrelangem Streit die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« mit zehn Milliarden D-Mark ein, um die Zivil- und Zwangsarbeiter sowie andere Naziopfer zu entschädigen.
    Man forderte uns auf, Entschädigung zu beantragen, und ich reichte das Formular fristgerecht bei der Internationalen Organisation für Migration ( IOM ) ein, eine der Einrichtungen, die das Geld verwalteten. Dort brauchte man fast zwei Jahre, um meinen Anspruch und den aller anderen alliierten Kriegsgefangenen aus E715 zurückzuweisen. Dass ich kein Geld bekommen sollte, störte mich nicht, aber dass man mir die Anerkennung des Geschehenen verweigerte, ärgerte mich maßlos. Wieder wurde unter den Tisch gekehrt, was wir erlebt hatten. Ich reichte leidenschaftlichen Einspruch ein und ermutigte die anderen, das Gleiche zu tun.
    Nun begann für mich eine Phase intensiver Aktivität. Ich bombardierte Parlamentsabgeordnete, das Verteidigungsministerium und sogar den damaligen Premierminister Tony Blair mit wütenden Briefen. Ich war fest entschlossen, die Tatsache ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, dass auch alliierte Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen worden waren, manchmal unter schrecklichen Bedingungen. Wir hatten den Krieg nicht ausgesessen und auf unsere Befreiung gewartet. Auch wir waren Zwangsarbeiter gewesen.
    Mein besonderes Ziel war, dass die britische Regierung E715 zur Kenntnis nahm, ein Lager, so nahe bei Auschwitz, dass man uns gemeinsam mit den KZ -Häftlingen zur Arbeit zwang. Ich war der Meinung, dass uns zumindest eine Zahlung in ähnlicher Höhe zustand, wie sie den Fernostgefangenen zugesprochen worden war, die in japanischer Gefangenschaft gelitten hatten.
    Einige Zeit später traf ein Scheck von der IOM über ungefähr fünftausend Pfund ein. Ich war erfreut, dass mein Antrag genehmigt worden war, aber viele von den Jungs hatte man erneut abgewiesen. Das erschien mir nicht richtig.
    Zum ersten Mal seit 1945 befasste ich mich eingehend mit dem Krieg, aber ich hatte mich noch immer nicht mit meinen eigenen Erinnerungen an die

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