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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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vorging.
    Alles änderte sich, als ich Audrey kennenlernte. Plötzlich wusste ich, was mir immer gefehlt hatte. Sie schloss eine Lücke in meinem Leben und hat sie danach stets ausgefüllt gehalten. Ich hatte das Gefühl, dass ich bei der Arbeit Verantwortung übernahm, Entscheidungen traf, alles vorantrieb und mehr oder weniger bestimmte, wo es langging. Wenn ich mir Bilder aus dieser Zeit anschaue, sehe ich einen selbstbewusst wirkenden Mann mittleren Alters mit allen äußeren Zeichen des Erfolgs, den schnellen Autos, dem großen Haus, den großen Hunden, den Pferden.
    Audrey schildert mich als ganz anderen Menschen. Sie sagte, ich wirkte verloren, als wäre ich ständig auf der Suche nach irgendetwas. Sie entdeckte eine Traurigkeit in mir, die ich mir gegenüber nie eingestanden hatte und von der ich hoffte, dass niemand sonst sie bemerkte. Nach ihrer Erinnerung hatte ich ein schmales Gesicht, und mein Blick war immer auf den Boden gerichtet. Sie wusste, dass mit mir etwas nicht stimmte. Sie hatte recht, wie sie fast immer recht hat. Ich war nicht normal. Sie ahnte, dass es mit Auschwitz zu tun haben könnte, aber mehr auch nicht. Ich war überrascht, dass sie überhaupt so viel wusste. Audrey hat mir geholfen, geistig gesund zu werden. Seitdem ist sie stets mein Rettungsfloß gewesen.
    Noch etwas anderes erinnerte mich an die Kriegsjahre. Mein rechtes Auge wurde immer schlimmer. Ich hatte damit Schwierigkeiten gehabt, seit ich ins Gesicht geschlagen worden war, nachdem ich den SS -Mann herausgefordert hatte. Mein Sehfeld verzerrte sich ohne Vorwarnung, und große Gegenstände falteten sich vor meinen Augen zu nichts zusammen, oder es gab plötzlich zwei davon, was noch schlimmer war. Ich musste Kricket und Tennis aufgeben, weil ich nicht mehr einschätzen konnte, wo der Ball war. Vor allem aber konnte ich bei Besprechungen die Blaupausen nicht mehr erkennen. Es wurde ernst. Ich musste etwas unternehmen.
    Audrey und ich waren zu der Zeit noch nicht endgültig zusammen, aber ich weiß noch, dass es an einem Samstag war. Wir hatten uns verabredet, zusammen einkaufen zu gehen, sobald ich im Krankenhaus bei einem Augenspezialisten gewesen war. Aus der Einkaufstour wurde nichts mehr.
    Der Professor machte eine Reihe von Untersuchungen, leuchtete mir mit einem grellen Licht ins Auge und besah es sich mit verschiedenen optischen Geräten. Als er fertig war, verkündete er sein Urteil. Es fiel nicht gut aus.
    Das verletzte Auge hatte Krebs entwickelt und bedrohte mehr als nur mein Augenlicht. Wenn ich nicht binnen achtundvierzig Stunden operiert wurde, konnte sich der Krebs in mein Gehirn ausbreiten, und das wäre mein Tod. Um eins rief ich Audrey an, um ihr die schlechte Neuigkeit zu eröffnen: Ich kam nicht aus dem Krankenhaus heraus. Stattdessen bereitete man mich auf eine Operation am Montagmorgen vor.
    Mein Auge musste entfernt und durch ein Glasauge ersetzt werden. Als ich den ersten Schock überwunden hatte, fragte der Professor, ob ich bereit sei, an einem Experiment teilzunehmen, das dem besseren medizinischen Verständnis der Funktionsweise des Auges und seiner angeschlossenen Nerven diente. Er sagte, er habe einen Kollegen aus Schweden gebeten, herzufliegen und an der Operation teilzunehmen. Sie wollten mir die Nerven am Auge unter örtlicher Betäubung statt unter Vollnarkose durchtrennen. Ich sollte ihnen sagen, was ich dabei erlebte.
    Der Tag der Operation kam. Ich schloss mein gesundes Auge und blickte mit dem kranken rechten Auge ein letztes Mal auf die Uhr. Wir hatten genau elf Uhr morgens, als man mich bei vollem Bewusstsein, aber ein wenig benebelt in den Operationssaal rollte.
    Ich wurde auf einen OP -Tisch gelegt, der von grellen Lampen beschienen wurde, und das Experiment begann. Ich erinnere mich nicht an schlimme Schmerzen, aber ich weiß noch, dass der Professor immer tiefer mit seiner feinen Klinge in mein Auge eindrang und mir dabei Fragen stellte. »Ändert sich etwas, wenn ich das tue?«, erkundigte er sich.
    »Nein, kein Unterschied«, sagte ich.
    Er stocherte noch ein bisschen mehr. »Was ist jetzt?«, fragte er, machte wieder eine leichte Handbewegung, so vorsichtig wie ein Uhrmacher, und mein rechtes Auge sah nichts mehr. Es war, als hätte jemand eine schwere Münze daraufgelegt. Das Augenlicht auf meiner rechten Seite war verschwunden, und ich gab einen gestelzten Kommentar dazu ab. Danach erinnere ich mich an nicht mehr viel; vermutlich wurde ich unter Vollnarkose gesetzt, damit sie

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