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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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das Auge ganz herausnehmen konnten.
    Als ich aufwachte, war ich erleichtert, dass ich auf dem linken Auge noch sehen konnte. Ich hatte so viel durchgemacht, dass ich mich nicht erinnere, mich deshalb besonders krank gefühlt zu haben, aber Audrey war schrecklich aufgeregt.
    Als Dankeschön für die Unterstützung bei der Forschung sollte ich von einem anderen Versuchsergebnis profitieren. Ich sollte eines der ersten beweglichen Glasaugen erhalten. Die Muskeln würden an einer Scheibe in der Augenhöhle befestigt werden, die wiederum das falsche Auge halten würde, sodass eine begrenzte Bewegung möglich wurde.
    Damals klang es wunderbar futuristisch. Was folgte, war alles andere als das. Man füllte meine Augenhöhle mit Plastilin, um einen Abdruck für eine Form zu bekommen, und gab mir ein provisorisches Glasauge, das nicht passte. Kurz darauf schickte man mich in ein kleines Künstlerstudio. Eine junge Frau kam, und wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus. Dann musste ich mich hinsetzen, als würde sie ein Porträt von mir malen. Sie blickte mich lange und eingehend an. Dann holte sie ein blankes Glasauge, ein paar kleine Farbtöpfchen und winzige Pinsel hervor. Wie eine Malerin, die an einer Miniatur arbeitet, mischte sie die Farben, um jeden Farbton und jeden Fleck einzufangen. Sie machte einen großartigen Job, und das Auge passte besser als viele, die später mit technisch fortschrittlicheren Methoden hergestellt wurden.
    Die meisten Leute ahnen nicht, dass ich ein Glasauge habe, bis ich mit dem Teelöffel dagegenklopfe. Ich nehme es noch immer gelegentlich heraus und bin dafür bekannt, es mitsamt meinem Hörgerät auf dem Toilettentisch liegen zu lassen. Audrey sagt, dort lägen an manchen Abenden so viele Teile von mir, dass sie besser neben diesen Teilen schlafen sollte als im Ehebett. Meist schleudert sie dann noch ein imaginäres Holzbein in die Richtung.
    Juni 1966 bekam ich einen Brief mit einem Scheck als Entschädigung für die »Verfolgung durch die Nazis«, wie es in dem Anschreiben hieß. Der Scheck belief sich auf die gewaltige Summe von £204 und war vom Paymaster General unterzeichnet. Ich war beleidigt und empört. Aber wir Veteranen waren immer schon der Überzeugung gewesen, dass der Staat uns nicht anständig behandelte, und das hier war nur eine weitere Bestätigung.
    Es dauerte noch lange, bis das gute Leben zu Ende ging, doch als es so weit war, geschah es abrupt. Ich hatte ein umwälzendes neues Strangpressverfahren entwickelt, mit dem man Zahnpastatuben und Lebensmittelbehälter aus Aluminium viel effizienter herstellen konnte. Ich machte mich damit selbstständig und investierte mein ganzes Geld in mein Geschäft. Die Herausforderung faszinierte mich, aber ich achtete zu wenig auf das Kleingedruckte in den Verträgen. Ich verlor beinahe alles, was ich besaß. Fast zur gleichen Zeit machte mein Aktienpaket eine Bauchlandung, und die guten Zeiten waren vorbei. Mit Geld hatte ich noch nie umgehen können.
    Dennoch hatte ich noch ein großes Projekt im Auge. Associated Dairies, der zum Einzelhandelsriesen ASDA wurde, bat mich, bei Newcastle eine Fabrik zu bauen, die sterilisierte, haltbare Milch herstellen und abfüllen sollte. Ich willigte ein. Ich kaufte das Land und verhandelte mit den Behörden. Dann plante und baute ich die erste vollautomatische Fabrik ihrer Art im Land. Sie wurde von Prince Charles eröffnet und bildete den würdigen Abschluss eines Berufslebens, auf das ich stolz bin.
    Ehe ich in den Ruhestand ging, hatte ich mein Leben einer Neubewertung unterzogen. Audrey und ich wollten niemandem Geld schuldig sein; deshalb verkauften wir und verließen Cheshire. Wir erwarben ein kleineres, von Feldern umgebenes Haus am Rand des Dorfes Bradwell in Derbyshire. Alte Trockenmauern ziehen sich die grünen Hügel hinauf und teilen die Täler. Sie schließen die gewundene kleine Straße ein, die hinter dem Haus entlangführt, sich an einer dunklen Höhle vorbeiwindet und schließlich in die Landstraße außerhalb des Dorfes mündet. Dort durchleben wir die Jahreszeiten mehr, als dass wir sie beobachten. Es ist dort üppig und karg zugleich. Es ist die beste und schönste Heimat, die ich je hatte.

19. Kapitel
     
     
    M ein Schweigen hielt an. Audrey kannte keine Einzelheiten über die Zeit, die ich in E715 verbracht hatte. Sie wusste nichts von den Vorstößen nach Auschwitz-Monowitz oder von Ernst. Wenn sie mich danach fragte, weigerte ich mich, darüber zu reden. Das alles

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