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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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Geschehnisse beschäftigt. Das Imperial War Museum bat mich um ein Gespräch und schickte eine Interviewerin. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber sie leistete ausgezeichnete Arbeit: Irgendwie brachte sie mich zum Reden. Leicht kann es nicht gewesen sein. Ich rasselte alles schnell herunter. Zum ersten Mal versuchte ich, mich wirklich und wahrhaftig an alles zu erinnern. Über manche Dinge hatte ich noch nie gesprochen, und gewiss habe ich das eine oder andere durcheinandergebracht, aber ich hatte den ersten Schritt getan: Ich redete über meine Erlebnisse. Als die Interviewerin fort war, begriff ich, dass sie nicht einmal die Hälfte von dem gehört hatte, was ich wusste. Ich hatte kaum an der Oberfläche gekratzt.
    Eines Tages stand ein Fremder vor meiner Tür. Es war ein schöner Tag, was bei uns in Derbyshire bedeutet, dass es nicht regnete, und ich töpferte hinter dem Haus. Als es klingelte, ging ich zur Tür und öffnete. Vor mir stand ein Mann, der sich als Offizier vorstellte, obwohl er Zivilkleidung trug. Ich bat ihn herein, und er nahm auf dem Sofa Platz. Er sagte, er arbeite für die Veteranenorganisation Combat Stress. Dann stieß er eine Tasse Tee um, die Audrey ihm gemacht hatte, und alles lief über den neuen Teppich. Nachdem ich ihn in seiner Untröstlichkeit beruhigt hatte, legte er mir dar, dass seine Organisation ehemaligen Soldaten helfe, mit Kriegstraumata fertig zu werden. Er wollte wissen, ob ich irgendwelche Unterstützung bräuchte. Meine Antwort fiel knapp aus: »Da kommen Sie sechzig Jahre zu spät, mein Freund.«
    Ich blickte auf den Dienstgrad auf seiner Visitenkarte und verpasste ihm noch eine Zigarre. Soviel ich sehen könne, erklärte ich, habe er nie in einem Krieg gekämpft – was könne er also schon darüber wissen? Ich war sehr direkt. Ich hoffe, ich war nicht allzu schroff. Wir Soldaten hatten bei der Demobilisierung einen billigen Anzug bekommen und nicht mal ein Dankeschön. Jahrelang hatte ich Albträume und Seelenqualen ganz allein durchstehen müssen, und auf einmal, als ich schon über achtzig war, bot jemand mir Hilfe an! Die meisten meiner Kameraden waren längst tot.
    Nach dem Krieg hatten sich weder Regierung noch Militär für uns interessiert. Entweder lasen die Familien die Scherben auf, oder eben nicht. Ich konnte die Albträume nicht vollständig loswerden, aber wenigstens beherrschten sie mich nicht mehr. Der Mann von Combat Stress vertrat weder Regierung noch Militär; er versuchte nur zu helfen, der arme Kerl. Hinterher tat es mir leid, dass er meinen ganzen Zorn abbekommen hatte. Diese Leute leisten hervorragende Arbeit.
    Die Dinge änderten sich erst, als ich 2003 als Live-Gast in eine Radioshow des Lokalsenders gebeten wurde, in der es um die Pensionen von Soldaten ging. Ich saß im Studio und wurde eingewiesen, über den War Pensions Welfare Service zu sprechen. Das Zeichen »Auf Sendung« leuchtete auf. Wir waren live. Außer mir gab es noch zwei andere Gäste. Mein Mikrofon war eingeschaltet, und ich wusste, was ich sagen wollte. Dann aber stellte der Moderator mir eine völlig unerwartete Frage: Er erkundigte sich nach meinem Kriegsdienst.
    Ich erzählte alles schön der Reihe nach. Zum ersten Mal sprach ich auf sehr persönliche Weise über den Krieg. Anfangs ging es schleppend, und immer wieder schlichen sich eigentümliche deutsche Begriffe in meine Geschichte ein, als mehr und mehr Erinnerungen kamen. An einer Stelle musste der Moderator mich bitten, eine deutsche Redewendung zu übersetzen, die ich benutzt hatte, damit das Publikum mir folgen konnte.
    Bald strömten die Worte in der Flut der Erinnerungen nur so aus mir hervor. Ich würde mich nie wieder zum Schweigen bringen lassen. Ich erzählte vieles von der Geschichte, wie ich sie hier niedergelegt habe – bis ich zur Beschreibung von Auschwitz kam und der täglichen Arbeit an der Seite der jüdischen KZ -Häftlinge. Das war etwas anderes. Mir versagte die Stimme. Ich wurde von Gefühlen überwältigt und konnte nicht mehr weiterreden. Langes Schweigen folgte. Ich war wieder in der Vergangenheit und kämpfte um Worte. Dann riss ich mich zusammen, fuhr mit einem Teil meiner Geschichte fort, die mich nicht so sehr anrührte, und verschaffte mir dadurch Gelegenheit, meine Emotionen in den Griff zu bekommen. Doch als ich von dem fürchterlichen Gestank erzählte, der aus den Schornsteinen der Krematorien quoll, schmeckte ich ihn auf der Zunge, während ich sprach. Erneut geriet ich

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