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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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gehämmert. Alles schien ganz langsam abzulaufen, und ich hatte das Gefühl, als würde mein Kopf sich unter der Wucht der Druckwelle ausdehnen und wieder zusammenziehen.
    Wäre die Granate in meine Hälfte des Carrier gefallen, wäre es mein Tod gewesen, aber das Getriebegehäuse zwischen mir und Les hatte die heißen Granatsplitter nach oben abgelenkt und mich gerettet. Von der Druckwelle muss ich bewusstlos geworden sein, und der Carrier war von der Kante des Steilhangs zehn Meter tief abgestürzt.
    Als ich wieder zu mir kam, war das Innere des Carrier rot, und ich war von warmem, klebrigem Blut bedeckt. Was vom armen alten Les übrig war, lag auf mir verteilt – sein Blut und Gott weiß was sonst noch.
    Und es war immer noch nicht vorbei. Ein deutscher Soldat tauchte vor mir auf, eine schwarze Silhouette vor der grellen Sonne. Wenn er vorhatte, mich zu erschießen, dann war’s das gewesen. Doch er zerrte mich aus dem Carrier. Er war wütend, und ich erwartete keine Sonderbehandlung, nicht hier, nicht nach allem, was ich getan hatte. Ich hatte soeben seine Kameraden zermalmt. Doch was auch geschehen würde, mir war es in diesem Augenblick egal. Und neben mir sah ich den guten alten Les. Ein menschlicher Umriss war noch erkennbar, aber das war auch alles. Die Stielhandgranate war genau in seinem Schoß explodiert.
    Der deutsche Soldat schoss nicht. Ich sah, wie seine Lippen sich bewegten. Er durchsuchte den Carrier nach Munition. Durch das hohe Pfeifen in meinen Ohren hörte ich aus der Ferne immer noch Schüsse. Die anderen Carrier waren in Schwierigkeiten. Dann entdeckte ich den MG -Schützen. Er lag zusammengekrümmt am Boden und bewegte sich nicht, und sein Arm war übel zugerichtet. Ein anderer junger Deutscher kam herbei. Er schaute sich die glänzenden Dellen in den Seiten des Carrier an, wo Hunderte Kugeln uns getroffen hatten, fuhr mit den Fingerspitzen darüber und lächelte, als wäre er zufrieden mit seiner Zielgenauigkeit.
    Als ich an meiner Lederweste hinunterblickte, an der überall Les’ Überreste klebten, wurde mir klar, weshalb ich verschont geblieben war, als die Deutschen den Carrier gestürmt hatten: Es hatte so ausgesehen, als wäre ich ebenfalls in Fetzen gerissen worden. Sie hatten mich für tot gehalten.
    Meine erste Reaktion auf Les’ Anblick, den die Granate ins Himmelreich gebombt hatte, war: »Gott sei Dank, dass mir das nicht passiert ist.« Später, viel später sagte man mir, dass diese Reaktion normal gewesen sei, weil jeder überleben will, aber stimmt das wirklich? Ich weiß es nicht. Bis heute nicht. Wie ich bereits sagte: Den ganzen Krieg hindurch versucht man, alles Mögliche vor sich selbst zu rechtfertigen.
    Les war der Bursche mit den funkelnden Augen gewesen. Seit Liverpool hatte ich ihn gekannt. Ich hatte mit seiner Schwester Marjorie getanzt; ich hatte mit seiner Familie am Küchentisch gesessen, über ihre Witze gelacht und mit ihnen gegessen. Mir erschien es damals einfach nicht richtig, so reagiert zu haben, und es liegt mir heute noch genauso sehr auf der Seele wie vor siebzig Jahren. Aber man tut, was man tun muss, um durchzukommen. Der Geist ist ein mächtiges Ding. Mit seiner Hilfe überwindet man Mauern.
    Sidi Rezegh wurde später als »vergessene Schlacht« bezeichnet, und eine Fußnote bei einer vergessenen Schlacht zu sein, das ist schon was.

7. Kapitel
     
     
    D er MG -Schütze war schrecklich zugerichtet. Sein Arm war von den Kugeln beinahe abgetrennt worden, und er verlor viel Blut. Ich rechnete nicht damit, dass er überlebte. Ein deutscher Soldat legte ihm eine Aderpresse an und machte Drehbewegungen mit den Händen, und ich schnappte auf: »Alle fünfzehn Minuten.« Er wollte, dass ich die Presse regelmäßig öffnete, aber ich bekam nie die Gelegenheit dazu. Ich wurde auf eine Trage gehoben und weggeschafft. Der zusammengeschossene Carrier und Les blieben hinter uns zurück.
    Ich habe nie erfahren, was mit seinem Leichnam geschehen ist. Seine Überreste waren noch dort, zusammengesunken auf seinem Sitz, als sie mich fortbrachten. Les’ Name steht nun auf dem Denkmal von El Alamein. Ich hoffe, jemand hat ihn anständig begraben.
    Eine vergessene Schlacht? Es war ein blutiges Desaster. Von unseren Carriern gingen allein bei jenem Angriff vier verloren. Ich hatte oberflächliche Wunden an Bein und Kopf und eine ernstere Verwundung am Oberarm. Es sollte noch einige Zeit vergehen, ehe ich erfuhr, dass Eddie Richardson, Regimental Eddie, das Gefecht

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