Der Mann, der kein Mörder war
modernen Polizei.
Hanser war ihm in die Quere gekommen. Schon als sie das erste Mal bei der Polizei in Västerås vorsprach, war Haraldsson klar geworden, dass seine Karriere eine Vollbremsung hingelegt hatte. Er bewarb sich um den Posten. Sie bekam ihn. Mindestens fünf Jahre lang würde sie dort Chefin sein. Seine fünf Jahre. Man hatte ihm die Leiter nach oben weggezogen. Stattdessen hatte sich seine Karriere langsam auf dem jetzigen Niveau eingependelt, und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis sie eine Talfahrt machte. Es war geradezu symbolisch, dass er nun ein paar Kilometer von Västerås entfernt in einem Wald bis zu den Knien im stinkenden Schlamm steckte.
« HEUTE KUSCHELIGE MITTAGSPAUSE » war in Großbuchstaben in der SMS zu lesen gewesen, die er vorhin erhalten hatte. Was bedeutete, dass Jenny über Mittag nach Hause kommen würde, um mit ihm zu schlafen, und abends würden sie es dann noch ein- oder zweimal tun. So sah ihr Leben zurzeit aus. Jenny war in Behandlung, weil sie nicht schwanger wurde, und sie hatte gemeinsam mit dem Arzt einen Zeitplan ausgearbeitet, um die Befruchtungschancen zu optimieren. Und heute war ein optimaler Tag. Daher die SMS . Haraldsson war zwiegespalten. In gewisser Hinsicht wusste er es zu schätzen, dass ihr Sexleben in der letzten Zeit eine Aktivitätssteigerung von mehreren hundert Prozent erfahren hatte, dass Jenny ihn ständig wollte. Gleichzeitig wurde er den Gedanken nicht los, dass sie im Grunde gar nicht ihn wollte, sondern nur seine Spermien. Ohne ihren Kinderwunsch wäre sie niemals auf die Idee gekommen, für einen Quickie über Mittag nach Hause zu fahren. Das Ganze erinnerte ein wenig an Tierzucht. Sobald eine Eizelle ihre Wanderung in Richtung Gebärmutter antrat, legten sie los wie die Kaninchen. Und zwischendurch auch, nur um auf der sicheren Seite zu sein. Doch es ging nie mehr um Genuss, nie mehr um Nähe. Was war aus der Leidenschaft geworden? Der Lust? Und jetzt würde sie mittags in ein leeres Haus kommen. Vielleicht hätte er sie anrufen sollen, um zu fragen, ob er in ein Glas ejakulieren und es in den Kühlschrank stellen sollte, bevor er ging. Und das Schlimmste: Er war sich nicht einmal sicher, ob Jenny das für eine gänzlich schlechte Idee gehalten hätte.
Alles hatte am Samstag begonnen.
Gegen 15 Uhr hatte die Notrufzentrale ein Gespräch zur Polizei Västerås durchgestellt. Eine Mutter hatte ihren sechzehnjährigen Sohn vermisst gemeldet. Da es sich um einen Minderjährigen handelte, wurde die Vermisstenmeldung mit der höchsten Priorität versehen. Ganz vorschriftsgemäß.
Leider blieb die dringende Meldung dann allerdings bis Sonntag liegen, als eine Streife damit beauftragt wurde, der Sache nachzugehen – mit dem Ergebnis, dass die Mutter gegen 16 Uhr Besuch von zwei uniformierten Beamten bekam. Ihre Angaben wurden nun ein zweites Mal aufgenommen und registriert, bevor die Beamten am späteren Abend ihren Dienst beendeten. Noch immer hatte man keinerlei Maßnahmen ergriffen, abgesehen davon, dass nun zwei sorgfältige, nahezu identische Vermisstenmeldungen zum selben Vermissten vorlagen. Beide mit dem Vermerk «höchste Priorität» gekennzeichnet.
Erst am Montagmorgen, als Roger Eriksson bereits seit achtundfünfzig Stunden verschwunden war, fiel dem diensthabenden Beamten auf, dass die Vermisstenmeldung ohne weitere Konsequenzen geblieben war. Leider zog sich eine Fachsitzung über den Vorschlag des Reichspolizeiamtes zum Thema neue Uniformen so sehr in die Länge, dass man Haraldsson den aufgeschobenen Fall erst nach der Mittagspause zuteilte. Als er das Eingangsdatum sah, dankte Haraldsson seinem Schutzengel, dass die Streife Lena Eriksson am Sonntagabend besucht hatte. Dass die Beamten lediglich eine weitere Meldung geschrieben hatten, musste Rogers Mutter ja nicht erfahren. Nein, die Ermittlungen hatten bereits am Sonntag ernsthaft begonnen, aber noch zu keinem Ergebnis geführt. An dieser Version würde Haraldsson festhalten.
Er sah ein, dass er gezwungen war, zumindest einige zusätzliche Informationen einzuholen, bevor er mit Lena Eriksson sprach. Also versuchte er, Lisa Hansson zu erreichen, die jedoch noch in der Schule war.
Er suchte im Polizeiregister sowohl nach Lena Eriksson als auch nach ihrem Sohn. Bei Roger tauchten einige Anzeigen wegen Ladendiebstahls auf. Die letzte war bereits ein Jahr her und nur schwer mit seinem Verschwinden in Verbindung zu bringen. Zur Mutter gab es nichts.
Haraldsson
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