Der Mann der nicht zu hängen war
lang tut sich nichts. Jetzt kann auch Oberfeuerwehrmann Skager nicht länger warten und die Leitung blockieren. Gerade will er seinem jungen Kollegen sagen, er solle jetzt doch auflegen, als dieser auf einmal ganz aufgeregt hochfährt: »Ich habe eine Idee! Aber du wirst sie bestimmt für total verrückt halten.«
»Nun, sag schon, wer weiß?«
Eine halbe Stunde später, nachdem der Oberbranddirektor geweckt wurde und — wenn auch mit erheblichen Vorbehalten — schließlich doch seine Einwilligung gegeben hat, wird die verrückte Idee des jungen Feuerwehrmannes ausgeführt, obwohl an und für sich keiner so recht an einen möglichen Erfolg des ganzen Unternehmens glauben kann.
Vierzehn Feuerwehrautos mit heulenden Sirenen rücken aus. Es ist mittlerweile 5 Uhr 50 und noch stockdunkel. Jedes Fahrzeug hat Anweisung, in einem bestimmten Stadtviertel alle Straßen zu durchfahren, und alle Einsatzwagen sollen ständig mit der Zentrale in Funkverbindung bleiben. Dort sitzt der zweiundzwanzigjährige Christian Rasmussen, das Telefon an einem Ohr. Den Kopfhörer des Funkgeräts am anderen. Äußerst angespannt und konzentriert lauscht er. Irgendwann muß doch eine Sirene im Telefon der alten Frau zu hören sein! Sie hat nicht aufgelegt, und die Fensterläden sind offen. Also müßte man irgendwann eine der vierzehn Sirenen hören können!
Nach einer Dreiviertelstunde ist ganz Kopenhagen auf den Beinen. Überall brennen die Lichter.
0 Uhr 22. Als der Oberbranddirektor gerade den ganzen Klamauk stoppen will, da Bürgermeister und Journalisten ihm schon das Haus einrennen — ruft Christian Rasmussen: »Jetzt! Jetzt! Ich höre eine Sirene! Ganz leise zwar, aber ein Einsatzwagen muß in der Nähe sein!«
Oberfeuerwehrmann Skager übernimmt sofort das Funkgerät: »Wagen 1, Sirene aus!«
Christian hört die Sirene noch.
»Wagen 2 — Sirene aus! Wagen drei..., Wagen vier...«
Als Wagen 12 seine Sirene abschaltet, schreit Christian aufgeregt: »Das ist sie! Die Sirene 12!«
»Wagen 12. hier die Zentrale. Sie sind in der Nähe. Schalten Sie jetzt die Sirene wieder ein. Ja. Wir hören sie ganz deutlich durch das Telefon! Alle anderen Einsatzwagen sollen zurück zum Depot fahren!«
Minuten später überreicht ihm der junge Feuerwehrmann triumphierend den Hörer. Jetzt ist die Sirene 12 ganz deutlich zu hören, ganz aus der Nähe.
»Wagen 12, hier die Zentrale! Sie befinden sich jetzt garantiert in der richtigen Straße. Jetzt suchen Sie nach einem Fenster, wo Licht brennt.«
»Wagen 12 an Zentrale — verstanden. Aber es ist unmöglich! Das ganze Viertel ist jetzt auf den Beinen, und Licht brennt in fast allen Fenstern.«
»Wagen 12 — haben Sie einen Lautsprecher?«
»Sicher!«
»Gut. Dann veranlassen Sie, daß alle Lichter in der Straße sofort ausgeschaltet werden. Erklären Sie der Bevölkerung durch den Lautsprecher, worum es geht. Nur die alte Dame wird ihr Licht nicht ausschalten können. Dann finden Sie das richtige Fenster!«
Immer noch am Telefon hängend, hört Christian Rasmussen — zuerst nichts. Die Sirene ist abgeschaltet. Darm, schwach, aber deutlich die Stimme, die durch den Lautsprecher auffordert: »Schalten Sie Ihre Zimmerbeleuchtung aus! Ich wiederhole: Schalten Sie alle Beleuchtungskörper aus! Wir suchen eine gelähmte, ohnmächtige Frau, bei der Licht brennt! Ich wiederhole: Wir suchen...«
Zehn Minuten später hört Rasrnussen durch das Telefon, wie eine Tür aufgebrochen wird. Dann die Stimme eines Feuerwehrmannes am Telefon: »Hallo Zentrale? Wir sind da! Die Frau liegt im Koma. Ihr Puls ist sehr schwach, aber sie lebt noch. Sie ist am Kopf verletzt. Wir transportieren sie sofort ins Krankenhaus. Ende.« Und der Feuerwehrmann legt endlich den Telefonhörer der alten Dame auf.
Sie hieß Ellen Thorndall, war 72 Jahre alt und seit mehreren Jahren schon an beiden Beinen gelähmt. Im Krankenhaus konnte sie gerade noch gerettet werden, aber es war höchste Zeit gewesen. Dieses »Wunder« hatte nur geschehen können, weil ein junger Feuerwehrmann die verrückte Idee durchgesetzt hatte, um fünf Uhr morgens eine ganze Stadt mit heulenden Sirenen aufzuwecken.
Ihr sehr ergebener
C ornelius Benton ist erbost, wirklich sehr erbost. Ein ehrbarer kleiner Briefträger im Ruhestand und sitzt nun schon zum zweiten Mal im Gefängnis. Er, ausgerechnet er, der es nie wagte, auch nur neben den Zebrastreifen die Straße zu überqueren. Nun, was kann er denn schon verbrochen haben?
Er war kaum im
Weitere Kostenlose Bücher