Der Mann, der niemals lebte
dass Sie sehen, wie wir arbeiten, damit Sie nicht dieselben Fehler machen wie die anderen. Ich möchte nicht, dass Sie arrogant werden. Das ist doch die amerikanische Krankheit schlechthin, nicht wahr? An der sollen Sie nicht sterben.»
Ferris musterte Hani, der fast hinter den bläulichen Rauchschwaden seiner Zigarette verschwand. Der Terror hatte eine neue Qualität bekommen. Einen Monat vor der Bombe in Mailand war bereits eine in Rotterdam hochgegangen. Autobomben in Europa waren inzwischen fast schon an der Tagesordnung. Eigentlich hätte es durch solche Anschläge leichter werden müssen, die Mitglieder des verantwortlichen Netzwerks aufzuspüren, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Der Feind hatte die Kampfordnung verändert. Es lag eine neue Intensität in der Planung der Attacken: eine neue Handschrift. Ferris war überzeugt davon, dass auch Hani das erkannt hatte – das musste der Faden sein, von dem er sprach. Und das hatte sie heute beide nach Berlin geführt.
«Hinter wem sind Sie her?», fragte Ferris leise.
Hani lächelte hinter seinem Rauchschleier hervor. «Das kann ich Ihnen nicht sagen, mein Bester.»
Doch Ferris glaubte es ohnehin zu wissen. Hani jagte denselben Mann wie er – den Mann, dessen Gegenwart Ferris Monate zuvor zum ersten Mal gespürt hatte, in einem sicheren Haus nördlich von Balad, nur wenige Tage, bevor die Granatsplitter sein Bein zerfetzt hatten. Wenn Ferris jetzt die Augen schloss, sah er im Geist ein unscharfes, flimmerndes Bild vor sich: einen Mann, der seine Bombenleger in die Großstädte einer Welt entsandte, die sich selbst immer noch als zivilisiert betrachtete. Es gab kein Foto, keinen Ort, nicht einmal die Gewissheit, dass dieser Mann tatsächlich existierte. Es gab nur einen Namen, und als Ferris’ irakischer Informant diesen Namen an jenem Tag in der Nähe von Balad ausgesprochen hatte, war seine Stimme nicht mehr als ein verängstigtes Flüstern gewesen. «Süleyman», hatte der Informant gesagt. Er hatte das Wort fast verschluckt, als könnte es ihn das Leben kosten, wenn man es zu deutlich hörbar aussprach. Süleyman. Das war der Name des Terrors.
Amman
Als Ferris am nächsten Tag zurück nach Amman kam, herrschte dort eine gereizte und angsterfüllte Stimmung, aber das war in diesen Tagen eigentlich fast überall so. Amerika hatte im Irak ein Wespennest angestochen, und diese Wespen, die bereits durch sämtliche Souks und Moscheen der arabischen Welt schwirrten, fingen nun auch an, die Einkaufszentren und öffentlichen Verkehrsmittel westlicher Großstädte heimzusuchen. Die Analytiker in Langley nannten diese rapide Ausbreitung des irakischen Terrorismus ein «Überschwappen». Auf dem Rückflug von Berlin hatte Ferris in der Crown Class der Royal Jordanian Airline mit angehört, wie sich zwei gut gekleidete Araber in der Reihe vor ihm angelegentlich über das Bombenattentat in Mailand unterhielten. Die Autobombe sei ja von derselben Machart gewesen wie die in Rotterdam, allerdings größer, und in dem Fahrzeug hätten außerdem noch zusätzlich Propangasflaschen gelegen, um die Sprengwirkung zu verstärken. Das sei ganz zweifelsohne das Werk der al-Qaida – nein, falsch, das Werk von Schiiten, die so taten, als seien sie die al-Qaida – nein, eine ganz neue Gruppierung sei das, noch viel gefährlicher als alle anderen. Die beiden waren sich eigentlich in nichts einig, außer darin, dass die Amerikaner an allem schuld seien.
Selbst die Stewardess kam Ferris auf diesem Flug irgendwie nervös vor. Sie trug ein rotes Kostüm mit engem, figurbetontem Rock sowie ein kleines, rundes Hütchen in derselben Farbe, wie es beim Kabinenpersonal anderer Fluggesellschaften längst aus der Mode gekommen war. Das war das Liebenswerte an der Royal Jordanian: In ihren Maschinen – ebenso wie in Jordanien selbst – fühlte man sich immer so, als wäre man in ein Zeitloch geraten. Doch diesmal hatte die Stewardess auf Ferris’ Versuch, einen kleinen Plausch anzufangen, gar nicht reagiert, und als sie ihm das Essen brachte, hatte sie sogar ganz leicht das Gesicht verzogen, als wolle sie ihm sagen: Das habt ihr euch alles selbst zuzuschreiben, ihr Amerikaner.
Auch als Ferris in Amman durch die Passkontrolle ging, hatte er das Gefühl, als würden ihn alle feindselig anstarren. Etwa zeitgleich mit seiner war eine Maschine aus Israel gelandet, und die Jordanier warfen jedem, der israelisch oder amerikanisch aussah, böse Blicke zu. Die Juden. Und die
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