Der Mann, der niemals lebte
aus.
»Ich möchte meine Arbeit bei der CIA niederlegen«, sagte Ferris, als er geendet hatte, und Hoffman versuchte nicht, ihn zum Bleiben zu überreden. Er murmelte etwas von »vollstem Verständnis« und war sogar sichtlich erleichtert. Ferris war der einzige Amerikaner, der jedes Detail dieser Geschichte kannte, und folglich der letzte Mensch, den Hoffman noch gerne bei der CIA gesehen hätte.
Hoffman bot Ferris eine großzügige Abfindung an. Zudem würde er eine lebenslange Berufsunfähigkeitsrente erhalten sowie eine spezielle Frühpensionierungsprämie, da er ja im Einsatz verwundet worden war. Hinzu kamen eine erkleckliche Summe aus dem Dispositionsfonds, den der Direktor der CIA für besondere Einsatzleistungen bereithielt, sowie die Auszahlung sämtlicher Urlaubstage, die Ferris nie genommen hatte, sowie aller aufgelaufenen Überstunden und Gefahrenzulagen. Es war eine ansehnliche, wenn auch nicht übermäßig hohe Summe, die so zusammenkam. Zum Schluss verkündete Hoffman noch, dass sie Ferris in aller Stille einen Orden verleihen wollten, und fragte ihn, ob er irgendwann in die Zentrale käme, um ihn aus der Hand des Direktors entgegenzunehmen. Doch Ferris lehnte ab und bat ihn, den Orden zusammen mit dem, den er für seine Verwundung im Irak bekommen hatte, in den Safe zu sperren.
Im Juni desselben Jahres heirateten Roger Fares und Alice Melville in Amman. Er hatte sein Äußeres ein wenig verändert, hatte sich das Haar und einen Bart wachsen lassen, und Alice fand, dass er damit noch viel besser aussah als zuvor. Die Trauung war eine schlichte Zeremonie. Auch wenn Ferris nicht zum Islam konvertiert war, so hatten sie dennoch neben dem Episkopalpriester, der das Sakrament spendete, einen sunnitischen Scheich eingeladen. Alices Familie war angereist, ebenso wie Ferris’ Mutter. Erst wollte Ferris keinen Trauzeugen haben, doch dann entschloss er sich, Hani darum zu bitten, der überglücklich war, weil Ferris ihm sein Täuschungsmanöver damit wohl endgültig verziehen hatte. Nach der Heirat arbeitete Alice weiter mit den palästinensischen Flüchtlingskindern. Ferris half ihr dabei, und die Menschen in den Lagern waren froh darüber, ihn bei sich zu haben. Er beherrschte ihre Sprache und hörte ihnen zu. So arbeiteten sie den ganzen Herbst hindurch mit Freude vor sich hin, richteten sich in Alices Wohnung in der Altstadt ein und brachten sich gegenseitig das Kochen bei.
Eines Tages im September, ein gutes Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten, erhielten sie überraschend Besuch von Hani. Erst wollte er mit Ferris allein reden, doch Ferris weigerte sich, ein geheimes Gespräch zu führen – diese Zeiten waren ein für alle Mal vorbei. Also erzählte Hani es ihnen beiden: Er hatte eine Anfrage eines britischen Journalisten von der Sunday Times erhalten, der wegen einer Schießerei in Aleppo recherchierte, die offenbar im Zusammenhang mit einem zuvor in Amman stationierten und erst kürzlich pensionierten amerikanischen Botschaftsmitarbeiter stand, einem gewissen Roger Ferris. Hani erklärte, er könne das Erscheinen des Artikels verhindern – er hatte genügend Freunde in London und im Übrigen auch in Beirut, Paris und Tel Aviv, falls die undichte Stelle sich dort irgendwo befinden sollte. Dennoch war die Katze offensichtlich aus dem Sack, und das bedeutete, dass Ferris und Alice in Amman nicht mehr sicher waren. Natürlich würde Hani versuchen, sie zu beschützen, aber er wollte doch, dass sie wussten, woran sie waren.
Anfang Oktober zogen die beiden in eine andere Stadt in der arabischen Welt, wo eine Hilfsorganisation Freiwillige suchte. Nicht einmal ihre Freunde wussten, wohin sie gingen. Kurz vor dem Abschied aus Amman erfuhr Alice, dass sie schwanger war. Das Kind wurde in ihrer neuen Heimat geboren, und damit waren auch Roger und Alice noch mehr eins geworden mit diesem Land. Sie konnten sich dieser bezaubernden, aber auch geschundenen Kultur, die sie so bereitwillig in ihre Arme geschlossen hatte, nicht mehr entziehen – und wollten es auch gar nicht. Und so lebten sie.
Nachwort
Der Krieg, um den es in diesem Buch geht, ist nur allzu real. Dennoch ist »Der Mann, der niemals lebte« ein fiktives Werk. Die Personen, Ereignisse und Institutionen darin sind Produkte meiner Phantasie. Mein jordanischer Geheimdienst hat denselben Namen wie der echte und auch etwas von dessen Elan, aber alles andere ist erfunden. Meinen Freunden in vielen verschiedenen Ländern, die meine
Weitere Kostenlose Bücher