Der Mann, der sein Leben vergaß
Dr. Albez vollauf zu tun, seine durcheinandergeratene Bibliothek zu ordnen. Der Verlust seines Hauses griff ihn weniger an, denn Professor Destilliano hatte ihm gleich am Abend nochmals versprochen, ihm die hinterlegte Verkaufssumme überweisen zu lassen oder ihm ein neues Haus für dieses Geld zu kaufen. Zwar hatte Dr. Albez höflich abgewehrt, aber es beruhigte ihn doch sehr, nicht ganz mittellos auf die Freundschaft Professor Destillianos angewiesen zu sein.
Mit Hochdruck ging er deshalb auch an die Vorarbeiten zu seinem neuen Buch, das seine Abenteuer in den vergessenen zwei Jahren fantasievoll schildern sollte.
Aber gleich am zweiten Abend seiner Rückkehr nach Lissabon nahm Professor Destilliano nach dem Abendessen Dr. Albez zur Seite und drückte ihn in einen Sessel.
»Mein lieber Albez«, sagte er, und sein Gesicht war ernst. »Sie erzählen mir eben, daß Sie ein neues Buch schreiben?«
»Ja, gewiß.« Dr. Albez staunte und wußte nichts mit dieser Frage anzufangen.
»Wollen Sie das Werk unter Ihrem Namen Albez veröffentlichen?«
»Aber ja! Warum denn nicht?! Wie die anderen Bücher auch!«
Destilliano wiegte den Kopf und stockte einen Augenblick.
»Zwischen damals und heute liegen zwei Jahre. Sie galten als vermißt, die Polizei gab sich alle Mühe – ohne Erfolg. Sie gelten jetzt als tot!«
»Sehr interessant …«
»Ja. – Tauchen Sie nun wieder auf, so gibt das eine endlose Kette von Verhören, Berichten, das Ministerium schaltet sich ein, es wird eine Sensation – Untersuchungen jagen sich … kurz, der riesige Beamtenapparat spielt auf der ganzen Klaviatur! Das möchte ich gerade in Ihrem rätselhaften Fall vermeiden. Ich habe deshalb auch schon vorgegriffen und Sie als einen Besuch aus Spanien angemeldet.«
Dr. Albez war zunächst so erstaunt, daß er keine Antwort fand. Diese Argumente Destillianos konnte er zwar nicht voll einsehen, denn eine Sensation wäre die beste Reklame für seine weiteren Bücher gewesen, aber auf der anderen Seite erkannte er die Unmöglichkeit, seinem freundlichen Gastgeber in einen gesellschaftlichen Skandal zu ziehen.
»Und als welche Puppe soll ich nun weiterleben?« fragte er sarkastisch.
Destilliano lächelte.
»Als José Biancodero aus Sevilla, Schriftsteller und Freund meines Hauses. – Aber bitte, nur Dritten gegenüber. Für Anita und mich sind und bleiben Sie« – er stockte einen Augenblick vor der Lächerlichkeit der Behauptung –, »Doktor Fernando Albez.«
Da auch diese Klippe glücklich umschifft war, sah Professor Destilliano keine Gefahr mehr, Dr. Albez auf die Menschheit loszulassen. Äußerlich war er unbekannt, und wollte er doch einmal sich als der verstorbene Albez vorstellen, so würde dies als ein taktloser Witz betrachtet werden, über den man höchstens anstandshalber lächelt. Wann er allerdings in den ›Export‹ eingeschaltet werden konnte, war noch nicht abzusehen. Vorerst wollte Destilliano seine Tätigkeit nur auf die Beobachtung beschränken und dem ›Patienten‹, wie er ihn im stillen nannte, freien Lauf lassen.
Mit besonderer Spannung erwartete er die Auswirkungen des Verhältnisses Dr. Albez' zu Anita, und es regte sich im Gewissen Destillianos nichts, wenn er daran dachte, daß Peter van Brouken in Amsterdam eine vergrämte Frau und einen kleinen Sohn besaß. Für ihn war dieser Fall nicht nur ein psychologisches Experiment, sondern ein völlig neues, noch nicht erschlossenes Forschungsgebiet, das zu den großen, unlösbaren Rätseln der Menschheit gehörte.
Zwischen Anita und Dr. Albez spannen sich in den nächsten Wochen zarte, zunächst noch unbewußte Fäden. Wenn auch der Schriftsteller kaum aus seinem Zimmer kam und am Tag und selbst in der Nacht über den Papieren hockte und schrieb, sich kaum Zeit für das Essen gönnte und nur ab und zu einen forschenden Blick auf die jedesmal errötende Anita warf – beide fühlten sie doch im Herzen, daß dieses Warten einmal ein Ende haben würde.
Es war an einem heißen Augustabend, als die ersten Schranken ihrer Herzen fielen.
Professor Destilliano war in die Vorstadt Belem gefahren, um einen Patienten zu besuchen, und Dr. Albez saß in der halb von wucherndem Gebüsch zugewachsenen Laube im Garten. Er schaute durch das glaslose Fenster auf den in der untergehenden Sonne karminrot leuchtenden Monte do Castello, hatte einen Stapel Papier vor sich liegen und überlegte den Fortgang eines Kapitels seines neuen Romanes.
Heiß stand die Luft über dem Garten. Es
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